Ein millionenschwerer Steuerfall gerät ins Wanken – fehlerhafte Berechnungen und unklare Beweise führen zur Neuverhandlung.
Ein scheinbar wasserdichter Steuerfall mit einem Schaden von über 4 Millionen Euro – doch jetzt gerät das Urteil ins Wanken. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die Verurteilung eines Online-Händlers wegen Steuerhinterziehung aufgehoben. Der Grund: Das Landgericht hatte nicht sauber gearbeitet, wichtige Fakten zur Steuerpflicht der Umsätze nicht geklärt und Berechnungsfehler gemacht. Das könnte eine Signalwirkung für künftige Steuerstrafverfahren haben. Aber wie konnte es überhaupt zu dieser Wendung kommen? Und was bedeutet das für Unternehmen, die im Visier der Steuerfahndung stehen?
Was ist passiert?
Ein Unternehmer und Geschäftsführer eines international tätigen Online-Handelsunternehmens wurde vom Landgericht Hamburg wegen Steuerhinterziehung in 13 Fällen sowie versuchter Steuerhinterziehung in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Zudem wurde die Einziehung von Taterträgen in Höhe von über 4,3 Millionen Euro gegen die beteiligte Firma angeordnet.
Der Fall drehte sich um ein Geschäftsmodell, bei dem über verschiedene eBay-Accounts Waren verkauft wurden, während große Teile der erzielten Umsätze nicht an das Finanzamt gemeldet wurden. Dadurch wurden Umsatzsteuern in Millionenhöhe verkürzt. Zusätzlich wurden keine oder fehlerhafte Steuererklärungen für grenzüberschreitende Lieferungen abgegeben, wodurch weitere Steuerschulden entstanden.
Das Landgericht ging davon aus, dass der Angeklagte als Geschäftsführer und faktischer Hauptverantwortlicher gezielt Umsätze verschwieg und das Unternehmen auf Steuerhinterziehung ausgerichtet war. Doch in der Urteilsfindung unterliefen dem Gericht Fehler: Es konnte nicht zweifelsfrei feststellen, welche Umsätze tatsächlich in Deutschland steuerpflichtig waren und ob bestimmte steuerliche Pflichten in anderen EU-Ländern bestanden. Zudem wurden mögliche Vorsteuerabzüge nicht korrekt berücksichtigt, was die Höhe des Steuerschadens beeinflusst hätte.
Fehlende Beweise und fehlerhafte Berechnungen: Warum der BGH das Urteil kippte
Der Bundesgerichtshof (BGH) hob das Urteil des Landgerichts Hamburg auf und verwies den Fall zur erneuten Verhandlung an eine andere Wirtschaftsstrafkammer. Die Entscheidung betraf sowohl den Schuldspruch als auch die Einziehungsentscheidung in Höhe von über 4,3 Millionen Euro.
Begründung des BGH:
1. Lückenhafte Feststellungen zur Steuerbarkeit der Umsätze
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- Das Landgericht konnte nicht hinreichend feststellen, welche Umsätze tatsächlich in Deutschland steuerpflichtig waren.
- Es ließ offen, in welchem Umfang und zu welchen Zeitpunkten die Waren in andere EU-Mitgliedstaaten oder Drittländer geliefert wurden.
- Dies war entscheidend, da die Umsatzsteuerpflicht von der Überschreitung der Lieferschwellen in den jeweiligen Bestimmungsländern abhing (§ 3c Abs. 3 UStG).
- Ohne klare Feststellungen hierzu konnte nicht abschließend beurteilt werden, ob der Angeklagte in Deutschland unrichtige Umsatzsteuererklärungen abgegeben hatte (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO).
2. Fehlende Berücksichtigung von Vorsteuerabzügen
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- Das Landgericht hatte die abzugsfähigen Vorsteuerbeträge nicht in die Berechnung des Steuerverkürzungsbetrags einbezogen.
- Laut neuerer Rechtsprechung des BGH besteht zwischen Eingangs- und Ausgangsumsätzen ein direkter wirtschaftlicher Zusammenhang, sodass Vorsteuern aus Einkaufsumsätzen zwingend gegengerechnet werden müssen.
- Die Nichtberücksichtigung führte zu einer fehlerhaften Berechnung des hinterzogenen Steuerbetrags.
3. Unzulässige Schätzmethoden bei der Berechnung des Steuerschadens
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- Das Landgericht hatte angenommen, dass sämtliche Waren in den EU-Mitgliedstaat mit dem niedrigsten Umsatzsteuersatz (Luxemburg) geliefert wurden.
- Diese Annahme war nicht durch Beweise gestützt und führte zu einer möglicherweise falschen Festsetzung des Steuerverkürzungsbetrags.
- Der BGH betonte, dass Schätzungen im Steuerstrafrecht nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig sind und sich unüberwindbare Zweifel stets zugunsten des Angeklagten auswirken müssen.
4. Keine ausreichende Grundlage für die Einziehungsentscheidung
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- Die Anordnung der Einziehung von Taterträgen in Höhe von 4,3 Millionen Euro war fehlerhaft.
- Das Landgericht hatte nicht hinreichend geprüft, ob die Einziehungsbeteiligte (T. GmbH) tatsächlich die wirtschaftlichen Vorteile aus den Steuerersparnissen erlangt hatte.
- Zudem fehlte eine genaue Feststellung, ob und in welchem Umfang eine unrechtmäßige Bereicherung vorlag.
5. Kein ausreichender Nachweis einer strafbaren Steuerhinterziehung
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- Das Landgericht hatte offengelassen, ob der Angeklagte tatsächlich unrichtige Angaben gemacht oder steuerlich erhebliche Tatsachen verschwiegen hatte.
- Da für eine Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 AO ein vorsätzliches Handeln erforderlich ist, hätte das Gericht deutlicher herausarbeiten müssen, ob und inwiefern der Angeklagte eine Steuerverkürzung zumindest billigend in Kauf nahm.
Strengere Anforderungen an Steuerstrafverfahren: Präzise Beweisführung wird unerlässlich
Das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) hat weitreichende Bedeutung für Steuerstrafverfahren, insbesondere bei komplexen Umsatzsteuerhinterziehungen im Online-Handel. Es setzt hohe Anforderungen an die Feststellungen der Vorinstanzen und betont die Notwendigkeit einer lückenlosen Beweisführung. Entscheidend ist, dass nicht nur die Steuerhinterziehung selbst bewiesen werden muss, sondern auch die konkreten steuerlichen Auswirkungen präzise berechnet werden müssen.
Zudem stärkt das Urteil die Rechte von Angeklagten, indem es verdeutlicht, dass Unsicherheiten in der Beweisführung und unzureichende Feststellungen zu Lasten der Strafverfolgungsbehörden gehen. Besonders relevant ist dies für Fälle, in denen steuerrechtliche Fragen mit internationalen Bezügen oder komplexen Geschäftsmodellen verknüpft sind.
Darüber hinaus betont der BGH, dass bei der Berechnung des Steuerschadens der Vorsteuerabzug ordnungsgemäß berücksichtigt werden muss, was die Steuerverkürzung erheblich beeinflussen kann. Damit wird klargestellt, dass die steuerliche Gesamtbewertung nicht allein auf Schätzungen basieren darf, sondern eine fundierte Grundlage erfordert.
Insgesamt macht das Urteil deutlich, dass Steuerstrafverfahren eine präzise und nachvollziehbare Grundlage benötigen, bevor es zu einer Verurteilung kommen kann. Dies dürfte nicht nur für Unternehmen mit komplexen Steuerstrukturen von Bedeutung sein, sondern auch für Steuerberater, Finanzbehörden und Gerichte, die mit solchen Fällen befasst sind.
1. Sorgfältige Dokumentation steuerlicher Transaktionen
• Unternehmen sollten sämtliche Umsätze, insbesondere im Online-Handel, lückenlos dokumentieren.
• Eine vollständige Buchführung mit nachvollziehbaren Belegen kann helfen, steuerliche Risiken zu minimieren.
2. Richtige und vollständige Steuererklärungen abgeben
• Unrichtige oder unvollständige Angaben in Steuererklärungen können schnell strafrechtliche Konsequenzen haben.
• Gerade bei internationalen Handelsmodellen sollte stets geprüft werden, ob eine Umsatzsteuerpflicht in anderen Ländern besteht.
3. Beweislast in Steuerstrafverfahren beachten
• Die Entscheidung des BGH zeigt, dass Gerichte eine präzise Beweisführung verlangen.
• Eine Verurteilung wegen Steuerhinterziehung erfordert den Nachweis konkreter Steuerverkürzungen – bloße Vermutungen reichen nicht aus.
4. Steuerliche Risiken frühzeitig mit Experten klären
• Unternehmen sollten steuerliche Fragen frühzeitig mit Fachleuten besprechen, um spätere Konflikte mit den Finanzbehörden zu vermeiden.
• Gerade bei komplexen Sachverhalten kann eine präventive Beratung vor bösen Überraschungen schützen.
Quellen
LG Köln, Urteil vom 1. Juli 2024 – 106 KLs 7/23 – ; https://www.iww.de/pstr/urteilsbesprechungen-steuerstrafrecht/umsatzsteuerhinterziehung-das-geschaeftskonzept-warsteuerhinterziehung-in-millionenhoehe-f164193