Steuerhinterziehung oder Lücke im System? – Ein Millionenfall ohne Hauptverhandlung

Wie die Entscheidung die Grenzen zwischen Steueroptimierung und Steuerhinterziehung neu definiert. Ein mutmaßlicher Steuerskandal in Millionenhöhe, ein kompliziertes Finanzkonstrukt und am Ende - keine Anklage. Was nach einem Justizthriller klingt,...

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Wie die Entscheidung die Grenzen zwischen Steueroptimierung und Steuerhinterziehung neu definiert.

Ein mutmaßlicher Steuerskandal in Millionenhöhe, ein kompliziertes Finanzkonstrukt und am Ende – keine Anklage. Was nach einem Justizthriller klingt, ist ein realer Fall, der vor dem Landgericht Wiesbaden verhandelt wurde. Die Anklage warf den Verantwortlichen vor, ein steueroptimiertes Modell genutzt zu haben, um Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschläge in Millionenhöhe geltend zu machen – zu Unrecht, so die Staatsanwaltschaft. Doch dann die überraschende Wendung: Das Gericht lehnte die Eröffnung des Hauptverfahrens ab.

Wie kann es sein, dass eine steuerliche Konstruktion, die zu einem Steuerschaden von über 37 Millionen Euro geführt haben soll, nicht einmal vor Gericht verhandelt wird? Ist das ein Freibrief für kreative Steueroptimierung oder schlicht ein Mangel an Beweisen? Die Entscheidung wirft Fragen auf – und könnte weitreichende Folgen für künftige Steuerverfahren haben.

Tauche ein in einen der spannendsten Steuerfälle der letzten Jahre – und erfahre, warum er am Ende ohne Verhandlung endete.

Was ist passiert?

Die G AG entwickelte ein steueroptimiertes Modell, bei dem Aktien und Wertpapiere wechselseitig hin- und herübertragen wurden. Dabei wurden Steuerbescheinigungen nach § 45a Abs. 2 EStG selbst ausgestellt und in den Körperschaftsteuererklärungen der Jahre 2004 bis 2006 geltend gemacht. Ziel war es, die einbehaltene Kapitalertragsteuer und den Solidaritätszuschlag auf die festgesetzte Körperschaftsteuer und den Solidaritätszuschlag anzurechnen.

Nach Ansicht der Ermittlungsbehörden hatte dieses Modell zu einem mutmaßlichen Steuerschaden von mehr als 37 Millionen Euro geführt. Die Staatsanwaltschaft warf den Verantwortlichen der G AG daher vor, entweder direkt Steuerhinterziehung begangen oder sich zumindest als Gehilfen nach § 27 Abs. 1 StGB an der Tat beteiligt zu haben. Die Anklage stützte sich darauf, dass falsche oder unvollständige Angaben gemacht worden seien, um eine unrechtmäßige Steueranrechnung zu erreichen.

Die Ermittlungen konzentrierten sich auf die Frage, ob tatsächlich steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtig oder unvollständig erklärt wurden

Kein Prozess trotz Millionenstreit: Warum das Gericht die Anklage stoppte

Das Landgericht Wiesbaden entschied, die Eröffnung des Hauptverfahrens abzulehnen, da sowohl aus tatsächlichen als auch aus rechtlichen Gründen kein hinreichender Tatverdacht gegen die Angeschuldigten bestand.

Begründung des Gerichts:

  1. Keine ausreichende Beweislage für eine Steuerhinterziehung

- Die Aktenlage reichte nicht aus, um nachzuweisen, dass die Angeschuldigten tatsächlich unrichtige oder unvollständige Angaben im Sinne des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO gemacht hatten.

- Es konnte nicht belegt werden, dass die ausgestellten Steuerbescheinigungen gezielt zur Steuerverkürzung genutzt wurden.

  1. Keine nachweisbare Absicht oder billigende Inkaufnahme einer Steuerverkürzung

- Eine Steuerhinterziehung setzt voraus, dass der Täter entweder wissentlich falsche Angaben macht oder eine Steuerverkürzung zumindest billigend in Kauf nimmt.

- Das Gericht stellte fest, dass ein solcher Vorsatz nicht nachweisbar war.

  1. Finanzbehörde war in der Lage, den Sachverhalt eigenständig zu beurteilen

- Das Gericht argumentierte, dass die Finanzverwaltung durch die eingereichten Unterlagen genügend Informationen hatte, um eine rechtliche Beurteilung vorzunehmen.

- Die Steuerbescheinigungen und die Körperschaftsteuererklärungen hätten keine Täuschung über steuerlich erhebliche Tatsachen enthalten.

- Wenn Zweifelsfragen bestanden, wäre es Aufgabe der Finanzbehörde gewesen, diese zu klären.

  1. Keine strafbare konkludente Erklärung durch Einreichung der Steuerbescheinigungen

- Nach der Rechtsprechung können auch konkludente Erklärungen eine Steuerhinterziehung begründen, etwa wenn durch eine Eintragung im Steuerformular impliziert wird, dass eine bestimmte Steuer bereits abgeführt wurde.

- Das LG Wiesbaden sah jedoch keinen Beweis dafür, dass die Steuerbescheinigungen vorsätzlich mit dem Ziel eingereicht wurden, eine unberechtigte Steueranrechnung zu erwirken.

  1. Fehlende Rechtsgrundlage für eine Verurteilung

- Nach § 203, § 204 Abs. 1 StPO muss die Eröffnung eines Hauptverfahrens abgelehnt werden, wenn der zur Anklage gebrachte Sachverhalt keinen Straftatbestand erfüllt oder keine ausreichenden Beweise vorliegen.

- Da beides nicht gegeben war, entschied das Gericht, das Verfahren nicht zu eröffnen.

Strengere Maßstäbe für Steuerstrafverfahren

Das Urteil des LG Wiesbaden setzt ein klares Signal für zukünftige Steuerstrafverfahren und könnte die Hürden für die strafrechtliche Verfolgung steuerlicher Gestaltungen erheblich erhöhen. Es verdeutlicht, dass nicht jede steuerliche Optimierung automatisch eine Steuerhinterziehung darstellt und dass Finanzbehörden eine eigenständige Prüfungspflicht haben. Entscheidend ist, dass eine Steuererklärung zwar konkludente Erklärungen enthält, die Finanzverwaltung jedoch die Verantwortung für die korrekte steuerliche Beurteilung trägt. Ein zentrales Element der Entscheidung ist zudem der Vorsatznachweis: Eine fehlerhafte oder unvollständige Steuererklärung reicht nicht aus, um eine Strafbarkeit zu begründen – vielmehr muss nachweisbar sein, dass die Steuerverkürzung vorsätzlich oder zumindest billigend in Kauf genommen wurde.

Besonders brisant ist diese Entscheidung im Zusammenhang mit sogenannten Cum-Ex-Geschäften. Sie macht deutlich, dass eine strafrechtliche Verfolgung steuerlicher Modelle nicht auf Basis einer späteren Neubewertung erfolgen darf, wenn diese zum Tatzeitpunkt nicht eindeutig rechtswidrig waren. Damit könnte das Urteil eine neue Hürde für die Aufarbeitung vergangener Steuerfälle darstellen und die Anforderungen an die Beweisführung in solchen Verfahren deutlich verschärfen. Insgesamt stärkt die Entscheidung die Rechte von Steuerpflichtigen und unterstreicht die Notwendigkeit einer präzisen Differenzierung zwischen legaler Steueroptimierung und strafbarer Steuerhinterziehung.

Tipp:

– Sorgfältige Dokumentation steuerlicher Gestaltungen
Wer steuerliche Optimierungsmodelle nutzt, sollte alle relevanten Verträge, Berechnungen und Hintergründe dokumentieren. Dadurch kann im Streitfall nachgewiesen werden, dass die gewählte Gestaltung innerhalb der gesetzlichen Rahmenbedingungen lag.
– Transparenz gegenüber dem Finanzamt
Eine vollständige und nachvollziehbare Steuererklärung kann helfen, spätere strafrechtliche Vorwürfe zu vermeiden. Unklare oder strittige Sachverhalte sollten offen gelegt werden, um Missverständnisse zu vermeiden und der Finanzverwaltung eine eigenständige Beurteilung zu ermöglichen.
– Vorsatznachweis bleibt zentrale Hürde für Strafbarkeit
Eine Steuerhinterziehung setzt nicht nur eine unrichtige oder unvollständige Angabe voraus, sondern auch die nachweisbare Absicht, Steuern zu verkürzen. Wer auf eine etablierte steuerliche Praxis vertraut und sich auf fachlichen Rat stützt, minimiert das Risiko einer strafrechtlichen Verfolgung.
– Strafrechtliche Rückschau vermeiden
Steuerpflichtige können nicht nachträglich für steuerliche Modelle bestraft werden, die zum Zeitpunkt der Umsetzung noch nicht klar als rechtswidrig galten. Gerade bei komplexen Steuerfällen sollte die historische Rechtslage stets berücksichtigt werden, bevor strafrechtliche Vorwürfe erhoben werden.

Quellen


https://www.iww.de/pstr/urteilsbesprechungen-steuerstrafrecht/steuererklaerung-steuerbescheinigungen-fuer-kapitalertragsteuer-lg-laesst-hauptverfahren-nicht-zu-f164364 / LG Wiesbaden 12.2.24, 6 KLs 1141 Js 23920/12 LG Wiesbaden 12.2.24, 6 KLs 1141 Js 23920/12

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