Wenn der Staat die Reißleine zieht
Ein Mann ohne Gesicht – zumindest vor den Behörden. Jahrelang bewegte er sich geschickt im Verborgenen, wechselte Identitäten, Wohnsitze und ließ Millionen verschwinden. Mal in Deutschland, mal in den Niederlanden, dann plötzlich in Thailand – immer einen Schritt voraus, immer unauffindbar, während die Steuerforderungen wuchsen. Doch irgendwann schlägt das System zurück. Diesmal nicht mit einer weiteren Strafzahlung oder einem Verfahren auf Bewährung, sondern mit einer drastischen Maßnahme: Der Staat entzieht ihm den Reisepass, beschränkt seinen Personalausweis – ein effektiver Riegel vor der Tür zur Flucht. Doch was genau steckt hinter diesem Fall? Und welche Konsequenzen hat dieses Urteil für Steuerhinterzieher, die glauben, sich aus der Verantwortung stehlen zu können?
Was ist passiert?
Der Antragsteller wurde 2009 wegen Steuerhinterziehung in 17 Fällen, versuchter Steuerhinterziehung in zwei Fällen sowie Beihilfe zur Steuerhinterziehung in 22 Fällen zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Nach seiner Haftentlassung meldete er sich in Mannheim an, verließ Deutschland aber kurz darauf offiziell in Richtung Niederlande. Tatsächlich hielt er sich weiterhin in Deutschland auf, bevor er später nach Thailand reiste.
Neben seiner steuerlichen Vorgeschichte betrieb der Antragsteller ein Unternehmen, das gegen Bezahlung Punkte aus dem Fahreignungsregister in Flensburg auf nicht existierende Personen übertrug. Dadurch hinterzog er mutmaßlich Umsatzsteuer in Höhe von rund 76.000 Euro zwischen 2010 und 2012. Insgesamt schuldet er dem Land Baden-Württemberg Steuern in Höhe von über 500.000 Euro, darunter Einkommenssteuern aus den Jahren 2003 bis 2007.
Die Behörden stufen ihn als steuerfluchtgefährdet ein, da er sich mehrfach abgemeldet hat, während er weiterhin in Deutschland lebte und erhebliche Geldeingänge auf Schweizer Konten verzeichnet wurden. Aufgrund dieser Annahme entzog ihm das Berliner Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten 2014 den Reisepass und beschränkte die Nutzung seines Personalausweises, sodass er Deutschland nicht verlassen durfte. Der Antragsteller legte dagegen Widerspruch ein und beantragte vorläufigen Rechtsschutz.
Flucht ins Ausland vereitelt: Wie das Gericht einem Steuertrickser die Reisefreiheit entzog
Das Gericht hat den Antrag des Antragstellers auf vorläufigen Rechtsschutz zurückgewiesen. In seiner Entscheidung betonte das Gericht, dass die Entziehung des Reisepasses und die Beschränkung des Personalausweises rechtmäßig und verhältnismäßig seien.
Begründung des Gerichts:
- Erhebliche Steuerrückstände
Der Antragsteller schuldet dem Land Baden-Württemberg über 500.000 Euro an Steuern, darunter Einkommenssteuer aus den Jahren 2003 bis 2007 sowie Umsatzsteuer aus seiner Tätigkeit als „Punktevermittler“. Die Steuerbescheide seien vollziehbar, und selbst wenn gegen einzelne Bescheide Einspruch eingelegt wurde, ändere dies nichts an der Rechtmäßigkeit der behördlichen Maßnahmen.
2. Anhaltspunkte für Steuerfluchtwillen
Das Gericht sah zahlreiche Indizien dafür, dass der Antragsteller sich seinen steuerlichen Verpflichtungen entziehen wollte:
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- Mehrfache Abmeldungen und Verschleierung des Aufenthalts
Der Antragsteller hatte sich mehrfach ins Ausland abgemeldet, war aber weiterhin in Deutschland aktiv. Seine Wohnsitze waren häufig unklar oder fiktiv. - Vermögensverhältnisse und Bankkonten in der Schweiz
Trotz der Behauptung, er sei mittellos, belegten Kontoauszüge hohe Geldeingänge in der Schweiz, was darauf hindeutete, dass er seine finanziellen Mittel vor dem Zugriff der Behörden schützen wollte. - Fehlende Kooperationsbereitschaft mit den Steuerbehörden
Der Antragsteller hatte keinerlei Bemühungen unternommen, seine Schulden zu begleichen oder eine Ratenzahlung zu vereinbaren.
- Mehrfache Abmeldungen und Verschleierung des Aufenthalts
3. Rechtsgrundlage für die Maßnahmen
Die Entziehung des Reisepasses erfolgte gemäß § 8 PassG, da Tatsachen vorlagen, die eine Passversagung gerechtfertigt hätten (§ 7 Abs. 1 Nr. 4 PassG: Steuerfluchtgefahr). Die Beschränkung des Personalausweises wurde nach § 6 Abs. 7 PAuswG angeordnet. Beide Maßnahmen seien geeignet, erforderlich und verhältnismäßig, um eine Flucht ins Ausland zu verhindern.
4. Kein milderes Mittel verfügbar
Das Gericht wies das Argument des Antragstellers zurück, dass die Behörden auch ohne Passentzug auf sein Vermögen in der Schweiz zugreifen könnten. Die Maßnahme diene nicht nur der Vollstreckung, sondern auch der Sicherstellung, dass der Antragsteller sich den deutschen Steuerbehörden nicht entzieht.
5. Interessenabwägung zugunsten des Staates
Die Richter kamen zu dem Schluss, dass das öffentliche Interesse an der Durchsetzung steuerlicher Verpflichtungen über dem privaten Interesse des Antragstellers an Reisefreiheit stehe.
Die Bedeutung der Passentziehung bei Steuerhinterziehung
Das Urteil hat eine weitreichende Bedeutung, insbesondere in drei zentralen Punkten:
- Klares Signal gegen Steuerflucht
Das Gericht bestätigt, dass hohe Steuerschulden und das gezielte Verschleiern des Aufenthalts als Indiz für Steuerflucht gewertet werden können. Die Entziehung des Reisepasses und die Einschränkung des Personalausweises zeigen, dass der Staat konsequent gegen Personen vorgeht, die sich durch Auslandsaufenthalte ihren steuerlichen Verpflichtungen entziehen wollen. - Bestätigung der behördlichen Befugnisse
Das Urteil stärkt die Handlungsfähigkeit der Behörden bei der Bekämpfung von Steuerhinterziehung. Es zeigt, dass Maßnahmen wie Passentzug und Reisebeschränkungen rechtmäßig sind, wenn die Gefahr besteht, dass sich ein Schuldner dem Zugriff der Finanzbehörden entzieht. - Warnung an Steuerhinterzieher
Die Entscheidung macht deutlich, dass selbst kreative Versuche, sich der Steuerpflicht zu entziehen, letztlich scheitern können. Das Urteil dient als abschreckendes Beispiel für Personen, die glauben, durch wechselnde Wohnsitze oder ausländische Bankkonten vor dem Fiskus sicher zu sein.
Insgesamt unterstreicht das Urteil, dass Steuerverpflichtungen nicht durch geografische Flucht umgangen werden können und dass die Behörden über wirksame Mittel verfügen, um solche Strategien zu unterbinden.
– Steuerschulden nicht ignorieren
• Steuerforderungen verschwinden nicht von selbst. Wer offene Beträge ignoriert oder sich ins Ausland absetzt, riskiert drastische Maßnahmen wie Kontopfändungen, Haftbefehle oder sogar die Entziehung des Reisepasses.
– Ehrliche Steuererklärung abgeben
• Auch kreative Steuervermeidungsstrategien können schnell in den Bereich der Steuerhinterziehung fallen. Wer sich unsicher ist, sollte frühzeitig einen Steuerberater konsultieren.
– Wohnsitzwechsel sorgfältig planen
• Der Versuch, sich durch eine Abmeldung ins Ausland den Steuerverpflichtungen zu entziehen, kann nach hinten losgehen. Behörden haben weitreichende Möglichkeiten zur Nachverfolgung von Steuerpflichtigen – selbst außerhalb Deutschlands.
– Nicht auf unseriöse Steuertricks hereinfallen
• Angebote zur Steuervermeidung durch Briefkastenfirmen oder fragwürdige Geschäftsmodelle (wie der „Punktehandel“) werden von den Behörden längst erkannt. Der Schaden ist oft größer als der kurzfristige Vorteil.
– Steuerflucht kann langfristige Konsequenzen haben
• Selbst wenn eine Steuerhinterziehung zunächst unentdeckt bleibt, können Nachverfolgung und Vollstreckung Jahre später noch greifen. Die Verjährungsfristen sind lang, und internationale Kooperationen der Behörden nehmen zu.
Quellen
Beschluss vom 27.08.2014 - VG 23 L 410.14