Umsatzsteuer auf illegales Geld? Ein Gerichtsurteil sorgt für eine unerwartete Wende – und könnte viele Steuerfälle verändern.
Stellen Sie sich vor, Sie müssen ein rechtswidrig erlangtes Einkommen zurückzahlen – und das Finanzamt hält trotzdem die Hand auf. Umsatzsteuer auf Geld, das gar nicht mehr existiert? Klingt absurd, ist aber Realität. Doch genau hier hat ein aktuelles Urteil eine überraschende Wende gebracht.
Was passiert, wenn Bestechungsgelder eingezogen werden? Kann das Finanzamt trotzdem noch Steuern darauf verlangen? Und wo zieht die Justiz die Grenze zwischen rechtmäßiger Besteuerung und unzulässiger Doppelbelastung? Die Antwort auf diese Fragen könnte weitreichende Folgen haben – für Steuerpflichtige und für die Finanzverwaltung. Lesen Sie weiter, um zu erfahren, was das Urteil bedeutet und warum es für viele Unternehmen und Einzelpersonen brisant ist.
Was ist passiert?
Ein Diplom-Ingenieur, der als Projektleiter in der Immobilienbranche tätig war, nutzte seine Position, um gegen Bestechungsgelder Aufträge zu vergeben. Über Jahre hinweg erhielt er von Bauunternehmen Zahlungen oder Sachleistungen für die Vergabe von Bauaufträgen. Das Finanzamt wertete diese Bestechungsgelder als steuerpflichtige Umsätze und setzte die entsprechende Umsatzsteuer fest.
Nachdem der Ingenieur strafrechtlich verurteilt wurde, ordnete das Gericht die Einziehung des erlangten Vorteils in Höhe von 340.259,11 € an. Der Ingenieur leistete daraufhin mehrere Zahlungen an die Landesjustizkasse und beantragte beim Finanzamt eine Korrektur seiner Umsatzsteuer-Bemessungsgrundlage nach § 17 UStG. Er argumentierte, dass er durch die Einziehung wirtschaftlich keinen Vorteil aus den Bestechungsgeldern mehr habe und eine doppelte Belastung durch Steuer und Einziehung verfassungswidrig sei.
Das Finanzamt und das Finanzgericht lehnten die Korrektur ab: Die Einziehung sei keine nachträgliche Entgeltminderung, weil das ursprüngliche Geschäft zwischen dem Ingenieur und den Bauunternehmen nicht rückgängig gemacht wurde. Der Bundesfinanzhof (BFH) hob dieses Urteil jedoch auf und stellte klar, dass die Umsatzsteuer-Bemessungsgrundlage um die eingezogenen Beträge gemindert werden muss. Damit folgt der BFH der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach eine Doppelbesteuerung durch Steuer und Einziehung unzulässig ist. Das Verfahren wurde zur weiteren Prüfung an das Finanzgericht zurückverwiesen.
Steuerlast trotz Einziehung? Warum die Bemessungsgrundlage angepasst werden muss
Der Bundesfinanzhof (BFH) entschied, dass die Bemessungsgrundlage für die Umsatzsteuer bei strafrechtlich eingezogenen Bestechungsgeldern gemindert werden muss. Damit stellte das höchste deutsche Finanzgericht klar, dass eine doppelte Belastung – sowohl durch die Einziehung des Tatentgelts als auch durch die Umsatzsteuer – verfassungsrechtlich unzulässig ist. Der BFH hob daher die Entscheidung des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg auf und verwies den Fall zur erneuten Prüfung zurück.
Begründung der Entscheidung
- Umsatzsteuerrechtlicher Grundsatz der Neutralität
Der BFH betonte, dass die Umsatzsteuer grundsätzlich auf den tatsächlich vereinnahmten Entgelten basiert. Wenn diese jedoch nachträglich durch eine strafrechtliche Einziehung entzogen werden, darf die ursprüngliche Steuerbemessungsgrundlage nicht unberührt bleiben. Eine Besteuerung von Geldern, die dem Steuerpflichtigen nicht mehr zur Verfügung stehen, würde den steuerrechtlichen Grundsatz der Neutralität verletzen. - Vermeidung einer verfassungswidrigen Doppelbelastung
Das Gericht verwies auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), wonach es unzulässig ist, einen Steuerpflichtigen sowohl strafrechtlich als auch steuerlich doppelt zu belasten. Die Einziehung von Bestechungsgeldern soll dem Staat das illegal erlangte Vermögen entziehen. Würde zusätzlich Umsatzsteuer darauf erhoben, hätte der Steuerpflichtige eine übermäßige finanzielle Belastung, die gegen das Prinzip der Besteuerung nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit verstößt. - Teleologische Reduktion von § 10 Abs. 1 UStG
Der BFH entschied, dass die Umsatzsteuerbemessungsgrundlage im Wege der teleologischen Reduktionangepasst werden muss. Das bedeutet, dass der ursprüngliche Steuerbetrag um die eingezogenen Gelder nachträglich zu korrigieren ist. Diese Korrektur erfolgt nach § 17 Abs. 1 Satz 1 UStG, der eine Berichtigung der Umsatzsteuer vorsieht, wenn sich das ursprünglich vereinbarte Entgelt nachträglich ändert. - Unionsrechtliche Vorgaben der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie
Der BFH stellte klar, dass auch das Europäische Mehrwertsteuerrecht eine solche Korrektur erfordert. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) darf die Steuerverwaltung keinen höheren Steuerbetrag erheben, als dem Steuerpflichtigen tatsächlich verbleibt. Die Einziehung der Gelder führt dazu, dass dem Steuerpflichtigen der wirtschaftliche Vorteil wieder entzogen wird – eine Besteuerung auf dieser Basis wäre unionsrechtswidrig. - Rückverweisung an das Finanzgericht
Da das Finanzgericht nicht ausreichend geprüft hatte, ob und in welcher Höhe die Einziehung der Gelder bereits erfolgte, wurde der Fall zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen. Das Finanzgericht muss nun feststellen, in welchem Umfang die Bestechungsgelder tatsächlich eingezogen wurden und wie sich dies konkret auf die Umsatzsteuerfestsetzung auswirkt.
Wie strafrechtliche Einziehungen die Umsatzsteuer beeinflussen
Das Urteil des Bundesfinanzhofs hat weitreichende Bedeutung für die steuerliche Behandlung strafrechtlich eingezogener Tatentgelte. Es stellt klar, dass in Fällen, in denen Bestechungsgelder oder andere unrechtmäßig erlangte Einnahmen später eingezogen werden, die Bemessungsgrundlage der Umsatzsteuer entsprechend zu reduzieren ist. Damit setzt der BFH eine Linie fort, die sowohl unionsrechtliche als auch verfassungsrechtliche Grundsätze berücksichtigt – insbesondere das Gebot der steuerlichen Neutralität und die Vermeidung einer doppelten Belastung.
Durch die Entscheidung wird verhindert, dass Steuerpflichtige nicht nur die unrechtmäßig erlangten Gelder verlieren, sondern zusätzlich noch auf diese Beträge Umsatzsteuer zahlen müssen. Das Urteil stärkt damit die Rechtssicherheit für Unternehmen und Einzelpersonen, die von strafrechtlichen Einziehungen betroffen sind. Gleichzeitig verdeutlicht es, dass der Staat bei der Abschöpfung von Vermögensvorteilen nicht zusätzlich über das Steuerrecht profitieren darf.
Diese Entscheidung könnte zukünftig Einfluss auf ähnliche Fälle haben, in denen strafrechtliche Maßnahmen steuerliche Konsequenzen nach sich ziehen. Sie schafft eine wichtige Abgrenzung zwischen steuerbaren Umsätzen und Vermögensabschöpfungen und sorgt für eine einheitliche Anwendung der steuerlichen Vorschriften in Einklang mit den Grundsätzen der Gerechtigkeit und Gleichbehandlung.
1. Strafrechtlich eingezogene Beträge können die Umsatzsteuer mindern
Wenn Gelder aufgrund einer strafrechtlichen Einziehung an den Staat abgeführt werden, kann dies die umsatzsteuerliche Bemessungsgrundlage reduzieren. Es lohnt sich, eine Korrektur gemäß § 17 UStG zu prüfen.
2. Eine Doppelbesteuerung lässt sich vermeiden
Das Urteil des BFH zeigt, dass eine doppelte Belastung – sowohl durch die Einziehung als auch durch die Umsatzsteuer – unzulässig ist. Betroffene sollten rechtzeitig Einspruch gegen Steuerbescheide einlegen, falls eine solche Doppelbelastung droht.
3. Auch illegale Einnahmen unterliegen grundsätzlich der Umsatzsteuer
Das Urteil stellt klar, dass unrechtmäßig erlangte Gelder nicht automatisch steuerfrei sind. Solange ein Leistungsaustausch vorliegt, bleibt die Umsatzsteuerpflicht bestehen – eine Ausnahme besteht nur für eingezogene Beträge.
4. Frühzeitige steuerliche Beratung kann hohe Nachzahlungen verhindern
Gerade bei Fällen mit strafrechtlichen Ermittlungen oder steuerlichen Unsicherheiten sollten Betroffene frühzeitig steuerlichen Rat einholen. Eine genaue Prüfung der Umsatzsteuerpflicht und möglicher Korrekturen kann spätere hohe Steuerforderungen vermeiden.
Quellen
https://www.bundesfinanzhof.de/de/entscheidung/entscheidungen-online/detail/STRE202520017/