
Pflichtteil und Nachlasskosten: Wann zählen Schulden im Nachlassverzeichnis?
In Erbschaftsangelegenheiten stellt die genaue Bewertung des Nachlassvermögens eine zentrale Herausforderung dar – vor allem, wenn es um die Berechnung von Pflichtteilsansprüchen und damit verbundene Kosten geht. Besonders umstritten ist, ob Verbindlichkeiten, wie Schulden des Verstorbenen, den Geschäftswert des Nachlasses erhöhen oder nicht. Das Nachlassverzeichnis ist die Grundlage für die Ermittlung des Nachlasswerts.[1] Im folgenden Fall brachte eine gerichtliche Klärung Aufschluss: Welche Posten dürfen einbezogen werden, und wie wirken sich Aktiv-, Passiv- und fiktive Nachlässe auf die Kostenberechnung aus?[2]
Was ist geschehen?
Die Beteiligte zu 1 erstellte auf Antrag der Beteiligten zu 2 ein Verzeichnis des Nachlasses ihrer im Jahr 2018 verstorbenen Mutter. Darin wurden Aktiva in Höhe von 21.976,64 EUR, ein fiktiver Nachlass von 578.284,52 EUR und Passiva in Höhe von 902.431,36 EUR verzeichnet.
Am 15. Februar 2020 stellte der Beteiligte zu 1 der Beteiligten zu 2 eine Kostenrechnung über 3.180,51 EUR inklusive 19 % Umsatzsteuer aus. Grundsätzlich bleibt der Wert von Nachlasspassiva außen vor bei der Berechnung für die Notargebühr. In diesem Fall hat der Notar die Summe aus den Nachlassaktiva und den fiktiven Nachlass zugrunde gelegt.
Das LG berief sich auf § 115 GNotKG, der den Geschäftswert nach den Werten im Nachlassverzeichnis bestimmt. Der Pflichtteilsberechtigte hat Anspruch auf Informationen zu Aktiv-, Passiv- und fiktivem Nachlass, und laut LG können Passiva bei der Ermittlung des Geschäftswerts einbezogen werden. Dagegen wurde Berufung eingelegt.
Die Berechnung des Nachlassverzeichnisses
Das Gericht legte für die Begründung § 115 S. 1 GNotKG zugrunde. Dieser besagt:
„Der Geschäftswert für die Aufnahme von Vermögensverzeichnissen ….. ist der Wert der verzeichneten oder versiegelten Gegenstände.“[3]
Bei der Auslegung dieser Norm geht das Gericht davon aus, dass der Geschäftswert für das Nachlassverzeichnis nur verzeichnete Gegenstände umfasse. „Gegenstand“ beziehe sich auf individualisierbare, vermögenswerte Objekte und nicht auf Schulden. Also sind auch Sachen, Forderungen, Immaterialgüterrechte und Vermögenspositionen inbegriffen, nicht jedoch Schulden. Auch bei der Berücksichtigung des fiktiven Nachlasses handelt es sich um Vermögenswerte und nicht um Verbindlichkeiten.
Das Bestimmtheitsgebot setzt voraus, dass der Erbe, der den Auftrag zur Erstellung des Nachlassverzeichnisses gab, die Höhe der zu erwartenden Gebührenlast auf Grund der gesetzlichen Festlegungen abschätzen kann. Willkürliche Handhabungen müssen auszuschließen sein.
Auch wenn die Erfassung der Nachlassverbindlichkeiten für den Notar arbeitsintensiv sein mag, ist der Arbeitsaufwand nicht entscheidend – daher rechtfertigt dies nicht, die Verbindlichkeiten werterhöhend anzusetzen.
Die Nachlassverbindlichkeiten bei der Berechnung Der Senat erklärte die Kostenrechnung des Beteiligten zu 1 in Höhe von 3.180,51 EUR als korrekt. Nach § 130 Abs. 2 S. 3 GNotKG ist das Verfahren gerichtskostenfrei, und die Landeskasse trägt die außergerichtlichen Kosten der Beteiligten zu 2. Eine Erstattungspflicht zugunsten des Beteiligten zu 1 entfällt.
• Bei der Erstellung eines Nachlassverzeichnisses dürfen Nachlassverbindlichkeiten nach § 115 GNotKG nicht in den Geschäftswert einbezogen werden, was zu niedrigeren Gebühren führen kann.
• Der Geschäftswert orientiert sich an den verzeichneten Gegenständen im Nachlass, also an Aktiva und gegebenenfalls fiktivem Nachlass, aber nicht an Schulden.
• Auch wenn die Erfassung von Verbindlichkeiten arbeitsaufwendig ist, beeinflusst der Arbeitsaufwand des Notars nicht den Geschäftswert und rechtfertigt daher keine werterhöhende Berücksichtigung von Schulden.
Quellen
[1] https://deutsches-erbenzentrum.de/themen/nachlassverzeichnis#nachlassverzeichnis-was-ist-das
[2] OLG Hamm, Beschluss vom 1.8.2023 – 15 W 310/20