Bindungswirkung eines DDR-Ehegattentestaments
Immer wieder kommt es in der erbrechtlichen Praxis zu Auseinandersetzungen darüber, welches Testament im Erbfall maßgeblich ist, insbesondere dann, wenn der Erblasser in mehreren Ehen gelebt und zu unterschiedlichen Zeiten letztwillige Verfügungen errichtet hat.
Besonders schwierig wird die rechtliche Bewertung, wenn ein Testament noch zu Zeiten der DDR nach dem Zivilgesetzbuch der DDR errichtet wurde. Denn auch Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung können solche Testamente eine fortbestehende Bindungswirkung entfalten, die spätere Verfügungen unwirksam macht.
Hintergrund: Zwei Testamente und zwei Ehen
Der Erblasser errichtete mit seiner ersten, im Jahr 1987 verstorbenen Ehefrau am 23. August 1986 ein handschriftliches Testament. Darin setzten sich beide gegenseitig zu Alleinerben ihres gemeinsamen Nachlasses ein.
Mit einer weiteren Verfügung vom 7. Juli 1987 bestimmten sie außerdem ihre Kinder zu Schlusserben:
„Nach unserem gemeinsamen Ableben erbt unser Sohn das gesamte Grundstück (…) Unsere Tochter das Bargeld sowie das vorhandene Auto und den Schmuck ihrer Mutter.“
Im Jahr 1990 übertrug der Erblasser das im Testament genannte Grundstück auf den Sohn und zahlte der Tochter 10.000 DM aus. Nach dem Tod seiner ersten Ehefrau heiratete der Erblasser erneut. Mit seiner zweiten Ehefrau errichtete er am 18. März 2003 ein weiteres gemeinschaftliches Testament, in dem sich die Eheleute gegenseitig zu Alleinerben einsetzten und verfügten, dass „erst nach beiderseitigem gemeinsamen Ableben“ die gesetzliche Erbfolge gelten solle.[1]
Der Streit um den Erbschein
Nach dem Tod der ersten Ehefrau erhielt der Erblasser einen Erbschein, der ihn als Alleinerben auswies. Nach seinem eigenen Tod wurde im Jahr 2008 der zweiten Ehefrau ein Erbschein als Alleinerbin erteilt.
Später kam es jedoch zum Streit: Ein Pflichtteilsberechtigter klagte gegen den Sohn auf Auskunft über den Nachlass. Das Landgericht vertrat dabei die Auffassung, der Erblasser sei an das gemeinschaftliche Testament von 1987 gebunden gewesen und habe 2003 nicht mehr neu testieren dürfen.
Daraufhin regte der Sohn die Einziehung des Erbscheins von 2008 an: Das Amtsgericht folgte seiner Auffassung und ordnete die Einziehung an.
Gegen diese Entscheidung wandte sich einer der Miterben der zweiten Ehefrau. Er argumentierte, das Testament von 1987 habe nur für den Fall des gleichzeitigen Todes der Eheleute gelten sollen.
Das Oberlandesgericht hörte die Beteiligten an, stellte aber fest, dass der Sohn das Erbe seines Vaters zwischenzeitlich ausgeschlagen hatte.
Entscheidung des Oberlandesgerichts: Erbschein war unrichtig
Das Gericht bestätigte die Entscheidung des Amtsgerichts:
Der Erbschein von 2008 war materiellrechtlich unrichtig und deshalb gemäß § 2361 Abs. 1 S. 1 BGB einzuziehen. Begründung: Der Erblasser war an das gemeinschaftliche Testament von 1987 gebunden. Das spätere Testament von 2003 war daher unwirksam.
Anwendbares Recht: DDR-Familien- und Erbrecht
Da das Testament von 1987 noch vor der Wiedervereinigung errichtet wurde und die Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der ehemaligen DDR hatten, galt nach Art. 235 § 2 EGBGB das ZGB-DDR.
Dieses sah in §§ 388, 389, 390 ZGB-DDR die Möglichkeit vor, dass Ehegatten sich gegenseitig als Erben einsetzen und zugleich Schlusserben bestimmen konnten. Ein Widerruf war nach dem Tod des Erstversterbenden nur unter engen Voraussetzungen möglich – solche lagen hier nicht vor. Das Gericht stellte klar:
Der Erblasser war an die Verfügung aus dem Jahr 1987 gebunden. Eine neue testamentarische Verfügung, die dieser widersprach, war nach § 390 Abs. 2 S. 2 ZGB-DDR nichtig.
Auch ein wirksamer Widerruf lag nicht vor, da es weder eine Erklärung gegenüber dem „Staatlichen Notariat“ noch eine Ausschlagung der Erbschaft gab – beides wäre erforderlich gewesen.
Auslegung des Testaments: Was bedeutet „bei unserem gemeinsamen Tod“?
Streit bestand insbesondere darüber, ob die Schlusserbeneinsetzung nur für den Fall des gleichzeitigen Versterbens oder auch bei zeitlich versetztem Tod gelten sollte.
Das Gericht betonte, dass die Testamentsauslegung den wirklichen Willen der Erblasser erforschen müsse. Maßgeblich sei nicht allein der Wortlaut, sondern das, was die Testierenden tatsächlich mit ihren Formulierungen zum Ausdruck bringen wollten.
Rechtsprechung zur Auslegung gemeinschaftlicher Testamente
In der obergerichtlichen Rechtsprechung werden Formulierungen wie
„bei gleichzeitigem Versterben“ oder „bei unserem gemeinsamen Tod“ unterschiedlich bewertet.
Viele Gerichte verstehen den Ausdruck „gemeinsamer Tod“ nicht als streng zeitliche, sondern als inhaltlich gemeinsame Regelung. So auch hier: Das Oberlandesgericht sah in der gewählten Formulierung eine ausreichende Andeutung eines Schlusserbenwillens, der auch den Fall des zeitlich versetzten Todes umfasst.
Fazit: DDR-Testamente entfalten bis heute Bindungswirkung
Der Fall zeigt, dass gemeinschaftliche Ehegattentestamente aus DDR-Zeiten auch Jahrzehnte später noch rechtlich bindend sein können.Wer nach dem Tod des Ehepartners erneut testieren will, sollte prüfen lassen, ob er durch frühere Verfügungen, insbesondere aus DDR-Zeiten, gebunden ist.
Eine anwaltliche Beratung ist hier unerlässlich, um Unwirksamkeit späterer Testamente oder Fehler bei der Erbscheinbeantragung zu vermeiden.
Quellen
[1]OLG Brandenburg Beschl. v. 16.9.2025 – 3 W 16/25, BeckRS 2025, 25426

