Ergänzende Testamentsauslegung

OLG Hamm: Ergänzende Testamentsauslegung bei fehlender Ersatzerbeneinsetzung Die Auslegung handschriftlicher Testamente gehört zu den häufigsten Streitpunkten im Erbrecht - insbesondere dann, wenn der Erblasser keine Regelung für den Fall trifft,...

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OLG Hamm: Ergänzende Testamentsauslegung bei fehlender Ersatzerbeneinsetzung

Die Auslegung handschriftlicher Testamente gehört zu den häufigsten Streitpunkten im Erbrecht – insbesondere dann, wenn der Erblasser keine Regelung für den Fall trifft, dass ein Bedachter vorverstirbt. Das Oberlandesgericht Hamm hatte sich in einer aktuellen Entscheidung mit der Frage zu befassen, ob und in welchem Umfang die Kinder einer vorverstorbenen Cousine als Ersatzerben in Betracht kommen, wenn das Testament hierzu keine ausdrückliche Bestimmung enthält. Der Fall zeigt eindrücklich, welche Bedeutung die ergänzende Testamentsauslegung in der gerichtlichen Praxis hat und wie sie dem mutmaßlichen Willen des Erblassers gerecht werden soll.

Ausgangslage: Streit um die Erbenstellung nach handschriftlichem Testament

Das Nachlassgericht stellte am 25. November 2024 die für den Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 2, 3 und 4 maßgeblichen Tatsachen fest. Hiergegen legte die Beteiligte zu 1 Beschwerde ein, da sie sich als alleinige befreite Vorerbin der Erblasserin ansah. Die im Jahr 2023 im Alter von 88 Jahren verstorbene Erblasserin war unverheiratet, kinderlos und hinterließ keine Geschwister. In ihrem handschriftlichen Testament vom 12. September 2014 hatte sie ihre Cousine C.F. als Bedachte des Hauses in der R2 Straße 83 sowie des Inventars und Autos eingesetzt, während U.K. das Haus in der G-Straße 16 unter einer Weitergabeverpflichtung an ihre Kinder sowie 10.000 Euro erhalten sollte. Das verbleibende Kapital nach Abzug der Bestattungskosten sollte ebenfalls C.F. zufallen.[1]

Familiäre Hintergründe und Nachlasswerte

Die Beteiligten zu 2, 3 und 4 sind die Kinder der vor der Erblasserin verstorbenen Cousine C.F., zu deren Familie ein enger, fast geschwisterlicher Kontakt bestand. Die Beschwerdeführerin U.K. stammt aus der mütterlichen Linie der Erblasserin. Das Haus in der G-Straße 16 gehörte ursprünglich zu diesem Familienzweig, während die Immobilie in der R2 Straße 83 aus dem Nachlass des früheren Lebensgefährten der Erblasserin stammte. Der Verkehrswert lag bei rund 326.000 Euro bzw. 177.000 Euro. Kurz vor ihrem Tod erwog die Erblasserin, das Haus R2 Straße 83 an den Sohn der Beschwerdeführerin zu übertragen, was jedoch nicht mehr umgesetzt wurde.

Anträge der Beteiligten und Entscheidung des Nachlassgerichts

Die Beschwerdeführerin vertrat die Auffassung, sie sei aufgrund des Testaments alleinige befreite Vorerbin geworden. Da die Erblasserin bei der Einsetzung der C.F. keine Ersatzerben bestimmt habe und die Auslegung gemäß § 2069 BGB keine Anwendung finde, sei der Erbteil der C.F. gemäß § 2094 BGB auf sie angewachsen. Das von der Erblasserin geplante Übertragungsvorhaben zugunsten ihres Sohnes spreche zusätzlich dafür, dass deren Kinder nicht als Erben vorgesehen gewesen seien.

Demgegenüber beantragten die Kinder der C.F., die Beschwerdeführerin nur zu Hälfte und sie selbst zu jeweils einem Sechstel als Erben auszuweisen. Das Nachlassgericht folgte diesem Antrag und bewilligte den entsprechenden Erbschein.

Beschwerde vor dem OLG Hamm

Gegen diese Entscheidung legte U.K. Beschwerde ein. Sie argumentierte, die Erblasserin habe keine hälftige Erbeinsetzung beabsichtigt, sondern die Erbteile wertmäßig unterschiedlich gewichten wollen. Zudem sei ihr der Erbteil der C.F. angewachsen, da eine Ersatzerbenbestimmung fehle. Das Nachlassgericht half der Beschwerde nicht ab und legte die Sache dem Oberlandesgericht Hamm zur Entscheidung vor.

Entscheidung: Keine Alleinerbin, sondern ergänzende Testamentsauslegung

Das OLG Hamm wies die Beschwerde als unbegründet zurück. Nach Auffassung des Senats war C.F. ebenso wie die Beschwerdeführerin Miterbin zu je einer Hälfte geworden. Nach dem Vorversterben der C.F. traten deren Kinder als Ersatzerben zu gleichen Teilen in deren Stellung ein.

Die Richter nahmen eine ergänzende Testamentsauslegung vor, da das Testament der Erblasserin keine Regelung für den Fall enthielt, dass C.F. vor ihr versterben könnte. Diese Lücke sei planwidrig, da die Erblasserin bei der Errichtung des Testaments den Fall des Vorversterbens ihrer Cousine nicht bedacht habe. Die gesetzliche Auslegungsregel des § 2069 BGB sei nicht anwendbar, weil C.F. kein Abkömmling der Erblasserin war.

Mutmaßlicher Wille der Erblasserin: Ersatzerbeneinsetzung der Kinder der C.F.

Das Gericht stellte auf den mutmaßlichen Willen der Erblasserin zur Zeit der Testamentserrichtung ab. Angesichts der engen familiären Bindung zwischen der Erblasserin und C.F., der engen Beziehung zu deren Kindern und der familiären Verbundenheit über die väterliche Linie sei anzunehmen, dass die Erblasserin die Kinder ihrer Cousine ersatzweise als Erben eingesetzt hätte.

C.F. sei nicht nur aufgrund der persönlichen Nähe, sondern zugleich als Repräsentantin des väterlichen Familienzweigs bedacht worden. Die Erblasserin habe nach dem Tod ihres Lebensgefährten regelmäßig Feiertage bei der Familie von C.F. verbracht, auch mit deren Abkömmlingen, zu denen sie ein gutes Verhältnis pflegte. Diese Umstände belegten, dass E den Nachlass im Familienzusammenhang erhalten wollte und die Kinder der C.F. als Ersatzerben anzusehen seien.

Keine wirksame Vor- und Nacherbschaft

Die Annahme der Beschwerdeführerin, es liege eine Vor- und Nacherbschaft vor, wurde zurückgewiesen. Eine solche Verfügung wäre wegen Verstoßes gegen § 2065 Abs. 2 BGB unwirksam, da der Vorerbin die freie Auswahl des Nacherben überlassen worden wäre. Eine Umdeutung der Verfügung kam ebenfalls nicht in Betracht.

Fazit: Bedeutung für die Praxis der Testamentsgestaltung

Die Entscheidung des OLG Hamm verdeutlicht, dass fehlende Ersatzerbeneinsetzungen im Testament durch ergänzende Auslegung geschlossen werden können, wenn sich aus dem Testament und den familiären Umständen ein entsprechender Wille des Erblassers ergibt. Auch bei nicht unmittelbar verwandten Bedachten wie Cousinen kann die Auslegung ergeben, dass deren Kinder als Ersatzerben berufen sind.

Für die Gestaltungspraxis zeigt die Entscheidung, wie wichtig eine klare und vorausschauende Formulierung von Erb- und Ersatzerbenbestimmungen ist. Gerade bei älteren Erblassern und gleichaltrigen Bedachten sollte ausdrücklich festgelegt werden, wer im Falle des Vorversterbens eines Bedachten an dessen Stelle treten soll. Nur so lassen sich spätere Auslegungskonflikte und Erbscheinsstreitigkeiten vermeiden.

Quellen


[1]OLG Hamm, Beschl. v. 19.3.2025 – I-10 W 40/25

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