BGH zur Einziehung bei Cum/Ex-Boni: Keine Reduzierung durch Lohnsteuerabzug
Mit seiner aktuellen Entscheidung hat der Bundesgerichtshof zentrale Fragen zur Einziehung unrechtmäßig erlangter Vermögensvorteile bei Cum/Ex-Geschäften präzisiert. Im Fokus steht die strafrechtliche Behandlung von Bonuszahlungen an Beteiligte, die sich über Jahre hinweg Kapitalertragsteuer erstatten ließen, obwohl diese nie abgeführt worden war. Der BGH stellte klar: Eine Minderung der Einziehungsbeträge um abgeführte Lohnsteuer kommt nicht in Betracht. Zugleich konkretisierte das Gericht die Anforderungen an die zusätzliche Verhängung einer Geldstrafe nach § 41 StGB neben der Einziehung.
Was ist passiert?
Im Zentrum des Verfahrens stand ein Cum/Ex-Geschäftskomplex, bei dem leitende Mitarbeiter der M. GmbH in den Jahren 2006 bis 2009 unter Einbindung mehrerer ausländischer Banken Aktien- und Optionsgeschäfte rund um den Dividendenstichtag tätigten. Ziel war es, Kapitalertragsteuer mehrfach erstatten zu lassen, obwohl diese nie einbehalten und abgeführt worden war. Insgesamt ließ sich die M. GmbH so rund 374 Millionen Euro erstatten – zu Unrecht.
Vier Angeklagte – darunter der CEO, ein Geschäftsführer sowie zwei weitere leitende Mitarbeiter – erhielten für ihre Beteiligung an diesen Geschäften hohe Bonuszahlungen. Die Höhe dieser Boni lag zwischen 1,5 Mio. € und knapp 11 Mio. €. Das Landgericht Frankfurt am Main hatte gegen alle Angeklagten Freiheitsstrafen bzw. Bewährungsstrafen ausgesprochen sowie eine Einziehung der Netto-Bonuszahlungen angeordnet, also abzüglich Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag.
Die Generalstaatsanwaltschaft legte Revision ein – und hatte teilweise Erfolg: Der Bundesgerichtshof hob das Urteil in Bezug auf die Einziehungsentscheidung auf und korrigierte die Beträge auf die Bruttoboni. Zudem beanstandete der BGH die Verhängung zusätzlicher Geldstrafen in zwei Fällen.
Einziehung in voller Höhe – Lohnsteuer mindert Tatertrag nicht
Der Bundesgerichtshof hob Teile des landgerichtlichen Urteils auf und änderte die Einziehungsbeträge zugunsten der Staatsanwaltschaft. Er stellte klar, dass die vollständigen Bruttobeträge der Cum/Ex-Boni als Taterträge einzuziehen sind. Die vom Arbeitgeber einbehaltene Lohnsteuer darf nicht abgezogen werden. Zudem wurde die Verhängung zusätzlicher Geldstrafen nach § 41 StGB beanstandet.
Drei zentrale Gründe für die Entscheidung:
- Lohnsteuerabzug mindert den Tatertrag nicht
Nach Auffassung des BGH entsteht die Lohnsteuerpflicht erst mit dem Zufluss des Arbeitslohns. Die vom Arbeitgeber abgeführte Steuer wird dem Arbeitnehmer steuerlich zugerechnet und darf daher nicht vom Einziehungsbetrag abgezogen werden. Eine Ausnahme – wie früher bei Härtefällen – sieht das neue Vermögensabschöpfungsrecht nicht mehr vor. Die sog. „steuerrechtliche Lösung“ verweist für solche Belastungen auf das Vollstreckungsverfahren (§ 459g Abs. 5 StPO).
- Einziehung betrifft den vollständigen wirtschaftlichen Vorteil
Die Bonuszahlungen waren – so der BGH – synallagmatische Gegenleistungenfür die Mitwirkung an rechtswidrigen Geschäften. Sie stellen daher vollständig „für die Tat“ erlangte Vorteile i.S.d. § 73 Abs. 1 Alt. 2 StGB dar. Entscheidend ist, dass die Zahlungen gezielt als Anerkennungfür die Beteiligung an den Cum/Ex-Transaktionen erfolgten.
- Geldstrafe nach § 41 StGB nur ausnahmsweise möglich
Zwei Angeklagte wurden zusätzlich zur Freiheitsstrafe mit einer Geldstrafe gem. § 41 StGBbelegt. Der BGH kritisierte, dass das Landgericht nicht ausreichend begründet habe, warum trotz der empfindlichen Vermögensabschöpfung noch ein zusätzliches Strafbedürfnisbestehe. Insbesondere sei nicht nachvollziehbar, warum einem Angeklagten, der freiwillig rund das Vierfache seiner Boni zurückgezahlt hatte, zusätzlich eine Geldstrafe auferlegt wurde.
Klare Maßstäbe für Einziehung und Vermögensstrafrecht
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs setzt wichtige Maßstäbe für die strafrechtliche Einziehung und die Auslegung des § 41 StGB im Kontext wirtschaftlich motivierter Straftaten. Zentrale Botschaft des Urteils ist: Bonuszahlungen, die im Zusammenhang mit strafbaren Cum/Ex-Geschäften stehen, unterliegen in voller Höhe der Einziehung – und zwar brutto, ohne Abzug von Lohnsteuer oder Solidaritätszuschlag. Damit stärkt der BGH die Systematik der Vermögensabschöpfung und grenzt sie konsequent von steuerrechtlichen Erwägungen ab. Steuerliche Belastungen sind im Erkenntnisverfahren nicht relevant und können allenfalls im Vollstreckungsverfahren nach § 459g Abs. 5 StPO berücksichtigt werden.
Darüber hinaus konkretisiert das Urteil die Anforderungen an die Verhängung zusätzlicher Geldstrafen nach § 41 StGB. Der BGH macht deutlich, dass neben einer empfindlichen Vermögensabschöpfung eine Geldstrafe nur in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht kommt – etwa dann, wenn trotz Einziehung ein zusätzliches Strafbedürfnis besteht. Gerade im Bereich der Wirtschaftskriminalität ist damit klargestellt: Einmalige Boni können vollständig abgeschöpft werden, ohne dass zugleich weitere Sanktionen verhängt werden müssen. Das Urteil schafft somit Rechtssicherheit für künftige Verfahren und setzt ein deutliches Signal im Umgang mit wirtschaftlich motivierten Steuerdelikten.
1. Einziehungsbeträge immer brutto kalkulieren
Verteidiger und Steuerberater sollten bei Bonuszahlungen aus strafbaren Handlungen nicht mit einem Abzug der Lohnsteuer rechnen. Der BGH stellt klar: Die Einziehung erfasst den vollständigen Bruttobetrag – unabhängig davon, ob der Arbeitgeber Lohnsteuer abgeführt hat.
2. § 41 StGB nur bei zusätzlichem Strafbedürfnis prüfen
Eine zusätzliche Geldstrafe neben einer Einziehung ist nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen gerechtfertigt. Gerichte müssen klar begründen, warum trotz vollständiger Abschöpfung des wirtschaftlichen Vorteils ein weiteres Strafübel erforderlich ist.
3. Härteausgleich ausschließlich im Vollstreckungsverfahren
Etwaige unbillige Härten – etwa wegen bereits gezahlter Lohnsteuer – sind nicht im Strafverfahren, sondern ausschließlich im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens nach § 459g Abs. 5 StPO zu prüfen. Eine unmittelbare Minderung des Einziehungsbetrags ist ausgeschlossen.
Quelle:
BGH, Urteil vom 27.11.2024 - 1 StR 473/23

