Von Cum-Ex bis Veräußerungsgewinn
Das Jahr 2024 war geprägt von einer Reihe bedeutender Entscheidungen des Bundesgerichtshofs im Steuerstrafrecht. Die Karlsruher Richter haben in zahlreichen Verfahren zentrale Fragen zur Strafbarkeit von Steuerdelikten, zur Einziehung unrechtmäßiger Vermögensvorteile und zur strafrechtlichen Bewertung steuerlicher Gestaltungen konkretisiert. Dabei ging es unter anderem um Veräußerungsgewinne nach § 17 EStG, die Abgrenzung von Tatbeiträgen in Cum-Ex-Fällen sowie um die Anforderungen an die Einziehung und Strafzumessung.
Dieser Beitrag gibt einen kompakten Überblick über die wichtigsten Entscheidungen des BGH im Jahr 2024 – verständlich erklärt und mit Blick auf ihre Bedeutung für die steuerstrafrechtliche Praxis.
- Der Veräußerungsgewinn nach § 17 EStG als Grundlage der Steuerverkürzung
Was ist passiert?
In einem Verfahren zur Steuerhinterziehung wurde die Höhe des steuerpflichtigen Veräußerungsgewinns nicht nachvollziehbar ermittelt. Der BGH stellte klar: Die Verkürzung ist nur dann gegeben, wenn die "Soll-Steuer" korrekt berechnet wurde – und diese ergibt sich aus dem Veräußerungsgewinn im Sinne des § 17 Abs. 2 EStG.
Warum ist das wichtig?
Das Urteil bekräftigt das Stichtagsprinzip bei der Veräußerung und die Bedeutung der zutreffenden Gewinnermittlung für den strafrechtlichen Verkürzungsumfang – ein zentraler Punkt in Steuerstrafverfahren.
- Gewinnermittlungsart als strafrechtliches Problem
Was ist passiert?
Der BGH entschied, dass auch die Wahl der Gewinnermittlungsart (EÜR vs. Bilanzierung) strafrechtlich erheblich sein kann. Im Fall blieb unklar, wie der Gewinn tatsächlich ermittelt wurde – das Urteil musste aufgehoben werden, BGH (12.12.24, 1 StR 112/24)
Warum ist das wichtig?
Diese Entscheidung betont: Wer seine Buchführung nicht korrekt dokumentiert, riskiert nicht nur steuerliche Nachteile, sondern auch strafrechtliche Sanktionen – insbesondere wegen möglicher USt-Hinterziehungen.
- Umsatzsteuerhinterziehung und ihre Voraussetzungen
a) Zahllast oder Steuervergütung – der entscheidende Punkt
Was ist passiert?
Der BGH stellte klar, dass eine Umsatzsteuerhinterziehung erst dann vollendet ist, wenn eine Zahllast herabgesetzt oder eine Steuervergütung tatsächlich bewilligt wird (§ 168 AO).
Warum ist das wichtig?
Das Urteil (1 StR 376/24) verschärft die Anforderungen an die gerichtliche Feststellung der Steuerverkürzung und macht klar: Die bloße Einreichung falscher Erklärungen reicht nicht – es muss ein konkreter Erfolg eintreten.
b) Kommissionsgeschäft und USt-Schuld
Was ist passiert?
Bei Verkäufen über Mittelsmänner wurde die USt nicht korrekt abgeführt. Der BGH entschied, dass bei echten Kommissionsgeschäften eine Lieferung durch den Kommittenten (hier: Täter) an den Kommissionär anzunehmen ist.
Warum ist das wichtig?
Die Entscheidung (1 StR 472/23) grenzt echte von bloß vorgeschobenen Strohmännern ab – und klärt, wann USt-Schulden entstehen und steuerstrafrechtlich verfolgt werden können.
- Strafzumessung bei Steuerhinterziehung
a) Wann liegt kein besonders schwerer Fall vor?
Was ist passiert?
Das LG übersprang die erforderliche Prüfung, ob Strafmilderungsgründe (z. B. Geständnis) das Regelbeispiel des besonders schweren Falls (§ 370 Abs. 3 AO) entkräften.
Warum ist das wichtig?
Der BGH (1 StR 68/24) stellte klar: Erst allgemeine Milderungsgründe prüfen, dann vertypte (§§ 23, 49 StGB) – das sichert ein faires Strafmaß und schützt vor Überbestrafung.
b) Gefälschte Belege: Keine Einziehung ohne Vorlage
Was ist passiert?
Der BGH (1 StR 308/23) entschied: Gefälschte Belege führen nur dann zur Strafschärfung (§ 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 4 AO), wenn sie tatsächlich eingereicht wurden – bloßer Besitz reicht nicht.
Warum ist das wichtig?
Das Urteil schützt davor, dass bloße Vorbereitungshandlungen zu unverhältnismäßig harten Strafen führen – ein wichtiger Grundsatz für die Grenze zwischen Versuch und Vollendung.
c) Geldstrafe neben Freiheitsstrafe (§ 41 StGB) – kaum noch Raum
Was ist passiert?
In einem Cum-Ex-Fall hielt der BGH (1 StR 473/23) eine zusätzliche Geldstrafe neben Freiheitsstrafe für unzulässig, da die Einziehung nach §§ 73 ff. StGB Vorrang hat.
Warum ist das wichtig?
Die Entscheidung klärt die Grenzen von § 41 StGB im Lichte der Reform des Vermögensabschöpfungsrechts – doppelte Sanktionen werden weitgehend ausgeschlossen.
- Konkurrenzen bei Beihilfehandlungen
Was ist passiert?
Der BGH stellte klar, dass bei mehreren Beihilfehandlungen für mehrere Haupttaten Tateinheit oder Tatmehrheit unterschiedlich zu bewerten sind (1 StR 308/23).
Warum ist das wichtig?
Die Entscheidung schafft Rechtssicherheit bei der strafrechtlichen Bewertung komplexer Täterrollen, z. B. in Steuerberaterfällen.
- Einziehung in Cum-Ex-Fällen
a) Tatlohn ist "für" die Tat – Einziehung möglich
Was ist passiert?
Der BGH (1 StR 197/24) stellte klar, dass Wertsteigerungen an Fondsanteilen, die als Tatlohn zu werten sind, unter § 73 Abs. 1 Alt. 2 StGB fallen.
Warum ist das wichtig?
Das Urteil erweitert die Möglichkeiten der Einziehung erheblich – auch Gewinne aus vermeintlich „legalem“ Wertzuwachs können abgeschöpft werden.
b) Kein Abzug von Lohnsteuer bei Einziehung
Was ist passiert?
In einem weiteren Fall (1 StR 473/23) stellte der BGH klar: Die abgeführte Lohnsteuer mindert den einzuziehenden Tatertrag nicht.
Warum ist das wichtig?
Es wird deutlich, dass steuerliche Pflichten nichts an der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung ändern – das stärkt die Logik der Einziehungssystematik.
c) Kein Nebeneinander von Tatertrag und Steuerersparnis
Was ist passiert?
Das LG wollte sowohl die Taterträge als auch die Steuerersparnis einziehen – der BGH (1 StR 340/24) stoppte das.
Warum ist das wichtig?
Das Urteil schützt vor doppelter Abschöpfung – ein Grundsatz, der aus dem verfassungsrechtlichen Übermaßverbot folgt.
Fazit: Strafrechtliche Dogmatik trifft auf steuerrechtliche Präzision
Die Entscheidungen des BGH im Jahr 2024 zeigen eindrucksvoll, wie eng Steuer- und Strafrecht miteinander verknüpft sind. Besonders im Bereich der Einziehung und der Strafzumessung setzt der BGH klare Maßstäbe, die weit über Einzelfälle hinausweisen. Für Strafverteidiger, Steuerberater und Ermittler gleichermaßen gilt: Wer die aktuellen Leitlinien nicht kennt, riskiert folgenschwere Fehler.
Tipp 1: Einziehungsrisiken frühzeitig prüfen
Nach den neuen BGH-Leitlinien zur Vermögensabschöpfung (z. B. bei Cum-Ex) sollten Berater und Verteidiger bereits im Ermittlungsverfahren genau prüfen, ob und in welcher Form eine Einziehung „für“ oder „durch“ die Tat droht – inklusive Gesellschaftsstrukturen und tatsächlicher Verfügungsgewalt.
Tipp 2: Strafzumessung strategisch beeinflussen
Ob ein besonders schwerer Fall vorliegt, hängt zunehmend von der richtigen Darlegung von Milderungsgründen ab. Frühzeitige Kooperation, Geständnisse und Aufklärungshilfe können entscheidend sein, um den Regelstrafrahmen zu verlassen (§ 370 Abs. 3 AO).
Tipp 3: Steuerliche Grundlagen sauber dokumentieren
Gewinnermittlungsart, Veräußerungszeitpunkte und Umsatzsteuerpflichten sind steuerlich wie strafrechtlich relevant. Wer hier unsauber arbeitet, riskiert nicht nur Steuernachzahlungen – sondern auch strafrechtliche Konsequenzen bei unklarer oder widersprüchlicher Buchführung.
Quelle:
https://www.iww.de/pstr/schwerpunktthema/rechtsprechungsuebersicht-das-sind-die-wichtigsten-entscheidungen-des-bgh-zum-steuerstrafrecht-aus-2024-f168432

