Wenn aus zwei Erbfällen plötzlich nur noch ein steuerlicher Freibetrag wird
Die Erbschaftsteuer kennt ihre eigenen Regeln – oft zum Erstaunen der Erben. Besonders komplex wird es bei Nacherbschaften: Wer über denselben Vorerben Vermögen von mehreren Erblassern erhält, rechnet schnell mit mehrfachen Freibeträgen. Doch genau das hat der Bundesfinanzhof jetzt ausgeschlossen. In einem vielbeachteten Urteil legt das Gericht fest: Auch bei mehreren Nacherbschaften über denselben Vorerben gilt erbschaftsteuerlich nur ein einheitlicher Erwerb – und damit nur ein Freibetrag. Warum diese Entscheidung für viele Erbfälle richtungsweisend ist, erfährst du in diesem Beitrag.
Was ist passiert?
Zwei Geschwister erben – allerdings nicht direkt. Ihre Großeltern hatten zunächst ihre Tante als Vorerbin eingesetzt. Erst nach deren Tod sollten die Geschwister als Nacherben an das Vermögen der Großeltern gelangen. Genau so kam es auch: Nach dem Tod der Tante erhielten die beiden Nacherben jeweils Vermögenswerte aus dem Nachlass des Großvaters und der Großmutter.
In ihrer Erbschaftsteuererklärung beantragten sie daher, den Freibetrag von 400.000 € pro Erbfall gleich zweimal zu berücksichtigen – schließlich stamme das Vermögen aus zwei unterschiedlichen Erbfällen. Das Finanzamt sah das anders: Es gewährte nur einen Freibetrag pro Person, da es sich um einen einheitlichen steuerlichen Erwerb vom Vorerben handle. Die Erben klagten – und scheiterten sowohl vor dem Finanzgericht München als auch in der Revision vor dem Bundesfinanzhof.
Ein Erbfall – ein Erwerb – ein Freibetrag
Der Bundesfinanzhof (Urteil vom 06.02.2024, II R 2/21) wies die Revision der Kläger ab und bestätigte die Entscheidung des Finanzgerichts München. Auch wenn der Nacherbe Vermögen aus mehreren Erbfällen erhält, steht ihm nur ein einziger Freibetrag zu – sofern diese Erbfälle über denselben Vorerben laufen. Der Nacherbe kann zwar beantragen, dass sein Verwandtschaftsverhältnis zu einem bestimmten Erblasser berücksichtigt wird, eine Vervielfachung der Freibeträge ist aber ausgeschlossen.
Der BFH stützte seine Entscheidung auf drei zentrale Argumente:
- Einheitlicher Erwerb vom Vorerben
Nach § 6 Abs. 2 Satz 1 ErbStG wird der Erwerb des Nacherben steuerlich als Erwerb vom Vorerben behandelt – und zwar unabhängig davon, wie viele Nacherbschaften zeitgleich anfallen. Zivilrechtlich mögen mehrere Nacherbschaften vorliegen, steuerrechtlich wird jedoch der gesamte Vermögensübergang beim Tod des Vorerben als ein einziger Erwerbsvorgang fingiert. Für diesen einheitlichen Erwerb ist nur ein Freibetrag nach § 16 ErbStG vorgesehen.
- Das Wahlrecht zur Steuerklasse führt nicht zu mehrfachen Freibeträgen
- 6 Abs. 2 Satz 2 ErbStG erlaubt dem Nacherben, für die Besteuerung das Verwandtschaftsverhältnis zu einem der ursprünglichen Erblasser zugrunde zu legen. Damit kann der Nacherbe einen günstigeren Freibetrag(z. B. als Enkel 400.000 €) beanspruchen. Dieses Wahlrecht eröffnet aber keine Mehrfachbegünstigung.Der Freibetrag kann nur einmal in Anspruch genommen werden – auch dann, wenn mehrere Erblasser involviert sind.
- Gesetzliche Deckelung verhindert kumulierte Freibeträge
- 6 Abs. 2 Satz 4 ErbStG schließt ausdrücklich aus, dass Freibeträge mehrfach genutzt werden. Er erlaubt einen zweiten Freibetrag (für das eigene Vermögen des Vorerben) nur dann, wenn der erste Freibetrag (für die Nacherbschaft) nicht vollständig verbraucht wurde. Dieses System zeigt, dass das Gesetz keine kumulierten Freibeträgezulässt – auch nicht bei mehreren Nacherbschaften. Entscheidend bleibt: Ein Erwerb, ein Freibetrag.
Ein Freibetrag – auch bei doppelter Herkunft des Vermögens
Das Urteil bringt Klarheit: Nacherben erhalten auch bei mehreren Erbfällen über denselben Vorerben nur einen Freibetrag. Entscheidend ist der Zeitpunkt des Erwerbs – also der Tod des Vorerben. Steuerlich liegt ein einheitlicher Erwerb vor, selbst wenn das Vermögen ursprünglich von mehreren Erblassern stammt.
Das Wahlrecht nach § 6 Abs. 2 Satz 2 ErbStG erlaubt zwar, das günstigste Verwandtschaftsverhältnis zugrunde zu legen – etwa „Enkel zu Großeltern“ statt „Neffe zu Tante“ – führt aber nicht zu mehrfachen Freibeträgen.
Für die Nachfolgeplanung heißt das:
- Wer mehrere Freibeträge nutzen will, muss unterschiedliche Vorerben einsetzen.
- In der Beratung ist klarzustellen: Ein Erwerb, ein Freibetrag – auch bei doppelter Herkunft.
1. Nutzen Sie das Wahlrecht gezielt für den höchsten Freibetrag
Beantragen Sie im Rahmen des § 6 Abs. 2 Satz 2 ErbStG die Besteuerung nach dem günstigsten Verwandtschaftsverhältnis zum ursprünglichen Erblasser – beispielsweise als Enkel statt als Neffe. So schöpfen Sie den maximal möglichen Freibetrag in Höhe von 400.000 € optimal aus.
2. Vermeiden Sie steuerliche Nachteile durch einheitliche Vorerben
Soll ein Nacherbe Vermögen von mehreren Erblassern erhalten, achten Sie darauf, nicht denselben Vorerben für alle Nachlässe einzusetzen. Nur wenn die Vermögenszuflüsse über verschiedene Vorerben erfolgen, besteht die Möglichkeit, mehrere Freibeträge in Anspruch zu nehmen.
3. Lassen Sie komplexe Erbfälle frühzeitig steuerlich gestalten
Gerade bei Konstellationen mit Vor- und Nacherbschaft empfiehlt sich eine vorausschauende steuerliche Beratung. So stellen Sie sicher, dass Gestaltungsspielräume genutzt werden – und Freibeträge nicht ungenutzt verloren gehen.
Quelle:
Urteil vom 01. Dezember 2021, II R 1/20