Pflichtteil als Steuersparmodell – auch nach dem Tod des Verpflichteten
Wer von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen wurde, hat oft Anspruch auf den Pflichtteil – zivilrechtlich klar geregelt. Doch was passiert, wenn der Pflichtteilsberechtigte später selbst Alleinerbe des eigentlich Verpflichteten wird? Gilt der Pflichtteil dann steuerlich noch – oder ist er mit dem Erbfall untergegangen?
Der Bundesfinanzhof hat mit seinem Urteil (Az. II R 3/11) genau diese Frage beantwortet – und stärkt damit die Rechte pflichtteilsberechtigter Erben erheblich. Besonders relevant ist die Entscheidung für Erben, die durch ein Berliner Testament enterbt wurden und später den Pflichtteil nachträglich gegenüber dem Finanzamt geltend machen.
Was ist passiert?
Die Tochter war von ihrem Vater durch ein Berliner Testament enterbt worden. Stattdessen wurde die Mutter Alleinerbin. Als auch diese starb, wurde die Tochter deren Alleinerbin. Eigentlich hätte sie gegen die Mutter einen Pflichtteilsanspruch geltend machen können – nur war dieser nie erfüllt worden.
Nach dem Tod der Mutter erklärte die Tochter gegenüber dem Finanzamt, dass sie den Pflichtteil nun geltend mache. Das Finanzamt lehnte den Abzug der Pflichtteilsschuld als Nachlassverbindlichkeit ab – mit Verweis darauf, dass Mutter und Tochter zuletzt „eine Person“ gewesen seien: Pflichtteilsberechtigte und Schuldnerin in einer Hand, also zivilrechtlich erledigt. Doch der BFH entschied anders.
Pflichtteilsanspruch bleibt steuerlich relevant – auch wenn er zivilrechtlich untergeht
Der Bundesfinanzhof stärkt die steuerliche Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs in Fällen, in denen der Pflichtteilsberechtigte später selbst Erbe des Verpflichteten wird. Trotz zivilrechtlicher Konfusion (Vereinigung von Anspruch und Schuld in einer Person) bleibt das steuerliche Abzugsrecht bestehen – ein klares Signal für mehr Flexibilität im Erbschaftsteuerrecht.
Die drei zentralen Gründe der Entscheidung:
- Steuerrechtliche Fiktion des § 10 Abs. 3 ErbStG:
Auch wenn zivilrechtlich Pflichtteil und Pflichtteilsschuld in einer Hand verschmelzen, behandelt das Steuerrecht den Anspruch so, als wäre er nicht erloschen – solange die Geltendmachung gegenüber dem Finanzamt erklärt wird. - Rückwirkende Berücksichtigung als Nachlassverbindlichkeit:
Die nachträgliche Geltendmachung wirkt auf den ursprünglichen Erbfall zurück (§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO), sodass die Pflichtteilsschuld beim Erwerb des Erben abziehbar ist. - Keine Voraussetzung der wirtschaftlichen Belastung zu Lebzeiten:
Es ist nicht erforderlich, dass der ursprüngliche Pflichtteilsverpflichtete (hier: die Mutter) mit der Geltendmachung rechnen musste. Entscheidend ist allein die rechtzeitige Erklärung gegenüber dem Finanzamt.
Wer Pflichtteil rechtzeitig erklärt, profitiert steuerlich
Die Entscheidung des Bundesfinanzhofs ist ein echter Klassiker im Erbschaftsteuerrecht – nicht nur wegen der klaren Abkehr vom zivilrechtlichen Konfusionsprinzip, sondern vor allem wegen der steuerlichen Weitsicht, die sie ermöglicht. Denn sie eröffnet Pflichtteilsberechtigten auch dann noch steuerliche Gestaltungsspielräume, wenn sie später selbst Alleinerben des ursprünglich Verpflichteten werden. Der Pflichtteilsanspruch bleibt erbschaftsteuerlich relevant, selbst wenn er zivilrechtlich erlischt – solange er rechtzeitig gegenüber dem Finanzamt geltend gemacht wird. Damit wird § 10 Abs. 3 ErbStG als steuerliche Fiktion deutlich aufgewertet und gewinnt an praktischer Bedeutung. Steuerlich zählt der erklärte Wille zur Geltendmachung – nicht die zivilrechtliche Durchsetzbarkeit. Das Urteil stärkt somit die Rechtssicherheit bei Pflichtteilsfragen mit steuerlicher Relevanz und schafft klare Orientierung für Berater, Finanzämter und Pflichtteilsberechtigte.
1. Pflichtteilsanspruch immer rechtzeitig geltend machen
Auch wenn der Pflichtteilsberechtigte Alleinerbe wird, sollte der Anspruch ausdrücklich und rechtzeitig gegenüber dem Finanzamt geltend gemacht werden – idealerweise vor Eintritt der Verjährung.
2. Steuerliche Relevanz trotz zivilrechtlichem Erlöschen prüfen
Selbst wenn der Anspruch durch Konfusion zivilrechtlich erlischt, bleibt er steuerlich relevant. § 10 Abs. 3 ErbStG fingiert das Fortbestehen – das kann den steuerpflichtigen Erwerb erheblich senken.
3. Nachlassverbindlichkeiten aktiv einfordern
Ein bloßes Schweigen führt zum steuerlichen Nachteil. Wer Pflichtteilsansprüche nicht aktiv erklärt, verliert den möglichen Abzug – selbst als Alleinerbe. Daher: Geltendmachung gut dokumentieren und gegenüber dem Finanzamt kommunizieren.
Quelle:
Urteil vom 19. Februar 2013, II R 47/11