Lücken bei Umsatz und Versand verhindern Strafe
Ein Unternehmer verkauft jahrelang Waren über eBay – nicht über einen Account, sondern über mindestens fünfzehn. Was bleibt, sind über 45 Millionen Euro verschwiegene Umsätze, eine Verurteilung wegen Steuerhinterziehung – und nun: ein kassiertes Urteil.
Der Bundesgerichtshof hat das Strafurteil des Landgerichts Hamburg aufgehoben und dem Verfahren eine neue Richtung gegeben. Der Fall zeigt eindrucksvoll, wie komplex die strafrechtliche Aufarbeitung digitaler Geschäftsmodelle ist – und welche strengen Anforderungen Gerichte bei der Verurteilung wegen Steuerhinterziehung erfüllen müssen.
Was das für Unternehmer, Berater und die Steuerfahndung bedeutet, analysieren wir in diesem Beitrag.
Was ist passiert?
Der Angeklagte war zunächst Alleingeschäftsführer und Gesellschafter der T. GmbH – einer deutschen Handelsgesellschaft, die im Auftrag eines chinesischen Konzerns über Onlineplattformen wie eBay und Amazon Waren verkaufte. Das Unternehmen importierte Produkte aus China, lagerte sie in Deutschland und verkaufte sie über mindestens 15 verschiedene eBay-Accounts an private Endkunden in Deutschland, in der EU und in Drittstaaten.
Der Kern des Vorwurfs: In den Umsatzsteuererklärungen und -voranmeldungen gab der Angeklagte lediglich die Umsätze an, die über einen einzigen eBay-Account („tom.“) erzielt wurden. Die über die übrigen 14 Accounts erwirtschafteten Einnahmen – insgesamt mehr als 45 Millionen Euro – verschwieg er. In mehreren Fällen kam es dadurch zu unrichtigen Steueranmeldungen und zu Steuervergütungen, obwohl diese nicht berechtigt waren.
Das Landgericht Hamburg verurteilte den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in 13 Fällen und versuchter Steuerhinterziehung in sechs weiteren Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten. Gegen die T. GmbH wurde die Einziehung des Wertes der Taterträge in Höhe von 4.396.030,69 Euro angeordnet.
Einziehung und Strafe fehlerhaft
Auf die Revision des Angeklagten sowie auf Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Einziehungsbeteiligten hob der Bundesgerichtshof das Urteil in wesentlichen Teilen auf. Die Begründung:
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Das Landgericht habe nicht ausreichend festgestellt, ob die betreffenden Umsätze tatsächlich in Deutschland steuerbar waren – insbesondere fehle es an konkreten Angaben zu Versandzielen und zur Überschreitung von Lieferschwellen nach § 3c UStG.
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Zudem sei nicht geprüft worden, ob und in welcher Höhe abzugsfähige Vorsteuern (§ 15 UStG) hätten gegengerechnet werden müssen – was die vermeintlich verkürzten Steuern erheblich verringern oder sogar ganz entfallen lassen könnte.
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Die Einziehungsentscheidung sei ebenfalls fehlerhaft, da das Landgericht fälschlich davon ausgegangen sei, dass alle Lieferungen ins EU-Land mit dem niedrigsten Umsatzsteuersatz (Luxemburg) erfolgt seien – obwohl es dafür keine tatsächlichen Anhaltspunkte gab.
BGH setzt klare Maßstäbe für Steuerstrafverfahren im digitalen Handel
Der Beschluss des BGH unterstreicht, dass auch bei gravierenden Steuerverstößen die Anforderungen an eine rechtsstaatliche Verurteilung hoch bleiben. Die bloße Annahme systematischer Hinterziehung reicht nicht – es müssen konkrete Feststellungen zur Steuerbarkeit der Umsätze und zu Versandzielen getroffen werden. Gerade bei grenzüberschreitenden Onlineverkäufen kommt es auf die exakte Anwendung des § 3c UStG an.
Zugleich macht der BGH deutlich, dass abzugsfähige Vorsteuern bei der Berechnung der Steuerverkürzung zwingend zu berücksichtigen sind – auch im Strafverfahren. Das sogenannte Kompensationsverbot greift hier nicht.
Auch bei der Einziehung nach § 73 StGB setzt der BGH Maßstäbe: Nur wer tatsächlich einen wirtschaftlichen Vorteil erlangt hat, darf belangt werden. Ein normales Geschäftsführergehalt reicht dafür nicht aus.
Das Urteil stärkt die Rechtssicherheit im Steuerstrafrecht – und mahnt zu Sorgfalt statt pauschaler Verurteilung.
1. Alle Umsätze vollständig deklarieren – auch bei mehreren Online-Accounts.
Wer über verschiedene Plattformen oder Verkäuferkonten verkauft, muss sämtliche Umsätze zentral erfassen und steuerlich korrekt angeben.
2.Lieferschwellen im EU-Ausland genau prüfen.
Bei grenzüberschreitenden Lieferungen ist entscheidend, ob und wann die Lieferschwellen der jeweiligen EU-Staaten überschritten wurden – sonst droht Steuerpflicht im Ausland.
3.Vorsteuer sauber dokumentieren und geltend machen.
Auch im Strafverfahren wirkt sich eine ordentliche Vorsteuerdokumentation zugunsten des Beschuldigten aus – sie kann über Schuldspruch und Strafmaß entscheiden.
Quelle: FG Hamburg Urteil v. 15.10.2024 – 3 K 134/2