Keine Verurteilung ohne klare Besteuerungsgrundlagen
Der Bundesgerichtshof hat ein Urteil des Landgerichts Bochum teilweise aufgehoben, weil zentrale Feststellungen zur Steuerverkürzung fehlten. Was auf den ersten Blick wie ein Formfehler wirkt, entpuppt sich als grundlegender Verstoß gegen die Anforderungen an eine strafrechtliche Verurteilung im Steuerstrafrecht. Der Beschluss macht deutlich: Ohne belastbare Zahlen, präzise Berechnungen und saubere rechtliche Einordnung darf kein Urteil wegen Steuerhinterziehung bestehen bleiben – auch dann nicht, wenn die Einziehung bereits vollzogen wurde.
Was ist passiert?
Dem Angeklagten wurde vorgeworfen, in seiner Funktion als Geschäftsführer einer GmbH sowie im Rahmen seines Einzelunternehmens über mehrere Jahre hinweg in zahlreichen Fällen Bestechungsgelder gezahlt und zugleich unzutreffende oder unvollständige steuerliche Angaben gemacht zu haben. Konkret ging es um 47 Fälle von Bestechung im geschäftlichen Verkehr sowie um acht Fälle von Steuerhinterziehung.
Die Vorwürfe umfassten unter anderem nicht erklärte verdeckte Gewinnausschüttungen, die über die GmbH abgewickelt worden sein sollen, sowie die Nichtabgabe einer Einkommensteuererklärung im Jahr 2017. Die betreffenden Steuererklärungen wurden jeweils durch ein Steuerberaterbüro elektronisch übermittelt.
Das Landgericht Bochum verurteilte den Angeklagten daraufhin im November 2023 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und ordnete die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von über 670.000 Euro an.
Steuerhinterziehung nicht tragfähig begründet
Der Bundesgerichtshof hob das Urteil des Landgerichts Bochum in zentralen Punkten auf. Die Verurteilung wegen Steuerhinterziehung, der Ausspruch über die Gesamtstrafe sowie die Einziehung des Tatertragswerts konnten nach Ansicht des 1. Strafsenats keinen Bestand haben. Die Begründung fällt deutlich aus: Die wirtschaftlich und rechtlich tragenden Feststellungen im Urteil genügten nicht den Anforderungen an eine strafrechtliche Verurteilung wegen Steuerhinterziehung.
Begründung des BGH:
- Fehlende Feststellungen zu Besteuerungsgrundlagen
Der BGH bemängelte, dass das Landgericht weder den Inhalt der abgegebenen Steuererklärungen noch die maßgeblichen Besteuerungsgrundlagen oder Berechnungen nachvollziehbar festgestellt hatte. Ohne diese Angaben sei eine Überprüfung der Steuerverkürzung durch das Revisionsgericht nicht möglich. Es fehlten insbesondere konkrete Angaben zu Einnahmen, Betriebsausgaben oder zur Berechnung des hinterzogenen Steuerbetrags – ein unverzichtbares Element für eine Verurteilung nach § 370 AO.
- Fehlerhafte Konkurrenzbewertung
Das Landgericht hatte tateinheitliche und tatmehrheitliche Verbindungen einzelner Steuererklärungen nicht korrekt zugeordnet. Obwohl der Angeklagte seine Unterlagen gesammelt einreichte und die Erklärungen gebündelt durch das Steuerberaterbüro übermittelt wurden, nahm das Landgericht Tatmehrheit zwischen GmbH- und Einzelunternehmens-Erklärungen an – ohne nachvollziehbare Begründung.
Der BGH stellte klar, dass bei einer einheitlichen Abgabe grundsätzlich Tateinheit naheliegt, wenn keine trennbaren Einzelbeiträge ersichtlich sind.
- Folgefehler: Gesamtstrafe und Einziehung
Da die Steuerdelikte rechtlich nicht tragfähig festgestellt waren, mussten sowohl die Gesamtfreiheitsstrafe als auch die darauf beruhende Einziehung des Wertes von Taterträgen aufgehoben werden. Beide stützten sich ausschließlich auf die beanstandeten Steuerhinterziehungen. Ohne tragfähige Feststellungen fehlt auch diesen Entscheidungen die Grundlage.
Keine Verurteilung ohne belastbare Steuergrundlagen
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs verdeutlicht, dass strafrechtliche Verurteilungen wegen Steuerhinterziehung nur dann Bestand haben können, wenn die steuerlich relevanten Grundlagen – wie Einnahmen, Ausgaben und Berechnungsparameter – vollständig und nachvollziehbar festgestellt werden. Der Beschluss schärft damit das Bewusstsein für die formalen Anforderungen an steuerstrafrechtliche Urteile und zeigt zugleich, dass auch Einziehungsentscheidungen ohne tragfähige Grundlage keinen Bestand haben. Für die Praxis bedeutet das Urteil: Gerichte müssen präziser begründen, Verteidiger können gezielter angreifen – und Steuerdelikte dürfen nicht mit pauschalen Annahmen verurteilt werden.
1. Urteile müssen steuerlich prüfbar sein.
In Verfahren wegen Steuerhinterziehung sind konkrete Feststellungen zu Einkünften, Betriebsausgaben und Steuerbeträgen zwingend erforderlich. Wer im Prozess oder in der Verteidigung damit arbeitet, muss auf vollständige und nachvollziehbare Berechnungen achten.
2. Konkurrenzverhältnisse sauber prüfen.
Tateinheit und Tatmehrheit dürfen nicht schematisch angenommen werden. Gerade bei mehreren Steuerarten oder gemischten Erklärungen (z. B. GmbH und Einzelunternehmen) sind die Abgrenzungen sorgfältig zu begründen – sonst droht die Aufhebung im Revisionsverfahren.
3. Einziehung braucht Substanz.
Auch bei hohen Summen gilt: Ohne tragfähige Verurteilung kann keine Einziehung erfolgen. Wer die Einziehung beantragt oder anordnet, muss sicherstellen, dass sie sich auf rechtlich tragfähige Feststellungen stützt.
Quelle: Bundesgerichtshof: Beschluss vom 17.10.2024 – 1 StR 170/24