Konflikt zwischen Verschwiegenheitspflicht und § 2259 BGB
Im Erbscheinverfahren ist das Nachlassgericht oft auf Originalurkunden angewiesen, um den letzten Willen des Erblassers zu ermitteln. Nach § 2259 BGB müssen solche Schriftstücke als mögliche Verfügungen von Todes wegen dem Nachlassgericht im Original vorgelegt werden. Dies führt in der Praxis häufig zu Konflikten, besonders wenn die Dokumente bei Dritten liegen, die der Verschwiegenheitspflicht unterliegen – wie etwa Rechtsanwälte.
Fallbeispiel: Konflikt zwischen Herausgabepflicht und Verschwiegenheitspflicht
Im vorliegenden Fall wehrte sich ein Rechtsanwalt gegen einen Beschluss des Nachlassgerichts. Er sollte einen Abschiedsbrief des Erblassers im Original übergeben, den er von der Polizei erhalten hatte. Der Brief enthielt sowohl vertrauliche als auch erbrechtlich relevante Inhalte. Während der Anwalt die vertraulichen Teile aufgrund seiner Verschwiegenheitspflicht zurückhielt, reichte er spätere Seiten ein, die Hinweise auf eine Alleinerbeneinsetzung enthielten. Das Nachlassgericht forderte schließlich die vollständige Herausgabe des gesamten Schreibens – was der Anwalt verweigerte. Daraufhin erließ das Gericht einen entsprechenden Beschluss.
Gerichtsurteil: Ablieferungspflicht geht vor anwaltlicher Schweigepflicht
Das Gericht entschied, dass der gesamte Abschiedsbrief, inklusive der bisher zurückgehaltenen Seiten, dem Nachlassgericht vollständig zu übergeben ist. Die Berufung des Anwalts auf seine Verschwiegenheitspflicht und die Strafbarkeit nach § 203 StGB konnte dem nicht entgegenstehen. Entscheidend war, dass das Schreiben als einheitliches Testament mit zusammenhängender Form und Inhalt zu werten sei. Die erbrechtliche Relevanz einzelner Teile darf ausschließlich das Nachlassgericht beurteilen. Die Ablieferungspflicht nach § 2259 Abs. 1 BGB dient dem Schutz des letzten Willens und wiegt schwerer als das Zeugnisverweigerungsrecht von Anwälten.
Bedeutung privater Inhalte im Testament
Die Ablieferungspflicht umfasst grundsätzlich alle Dokumente, die als letztwillige Verfügungen in Betracht kommen – auch wenn sie persönliche oder vertrauliche Passagen enthalten. Diese können im Rahmen der Auslegung (§§ 133, 2084 BGB) für die Ermittlung des Erblasserwillens oder des Errichtungszeitpunkts (§ 2247 Abs. 5 BGB) entscheidend sein. Selbst wenn der Erblasser bestimmte Teile seines Briefes als „vertraulich“ markiert hat, verhindert dies nicht die gesetzliche Ablieferungspflicht. Nach § 2263 BGB sind Verfügungen unwirksam, die die Ablieferung an das Nachlassgericht verhindern sollen.
Auch die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht (§ 43a Abs. 2 BRAO, § 203 StGB) steht der Herausgabe nicht entgegen. Diese Pflicht ist nicht uneingeschränkt und muss gesetzlichen Vorschriften wie § 2 Abs. 3 BORA weichen. Die Herausgabe dient dem Schutz des letzten Willens und überwiegt das individuelle Geheimhaltungsinteresse.
• Testamentarisch relevante Unterlagen vollständig abliefern: Auch vermeintlich persönliche oder vertrauliche Schriftstücke müssen dem Nachlassgericht übergeben werden, wenn sie als letztwillige Verfügungen in Betracht kommen (§ 2259 BGB).
• Vertraulichkeit schützt nicht vor Herausgabe: Selbst wenn ein Dokument vertraulich ist oder unter anwaltlicher Verschwiegenheitspflicht steht, geht die Ablieferungspflicht zur Sicherung des letzten Willens im Erbscheinsverfahren vor
• Relevanz entscheidet das Gericht, nicht der Besitzer: Ob eine Passage erbrechtlich bedeutsam ist, beurteilt allein das Nachlassgericht – nicht derjenige, der das Schriftstück besitzt oder verwahrt.
Quellen
[1] OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 15.01.2025 - 20 W 220/22