Ein Steuersparmodell, das zur Anklage wird.
Was als komplexe Gestaltung im Dividendengeschäft begann, entpuppt sich als potenziell strafbare Cum-Cum-Konstruktion. Mehrere ehemalige Bankvorstände sollen bewusst Scheintransaktionen genutzt haben, um millionenschwere Steuerersparnisse zu erzielen – ohne wirtschaftliche Substanz, aber mit steuerrechtlichem Anstrich. Das Landgericht Wiesbaden wollte das Verfahren zunächst nicht eröffnen. Doch das OLG greift ein: Der Tatverdacht wiege zu schwer, um nicht vor Gericht verhandelt zu werden. Damit rückt erneut ein Graubereich in den Fokus, in dem Steuergestaltung und Steuerhinterziehung gefährlich nah beieinander liegen.
Was ist passiert?
Mehrere ehemalige Vorstände der Bank1 AG stehen im Verdacht, zwischen 2004 und 2006 in den Körperschaftsteuererklärungen falsche oder unvollständige Angaben gemacht zu haben. Im Zentrum steht ein Cum-Cum-ähnliches Steuermodell, bei dem die Bank formal Aktien „als Sicherheit“ erhielt, ohne jedoch wirtschaftliches Eigentum daran zu erwerben. Trotzdem beanspruchte sie eine 95%ige Steuerfreistellung der Dividenden – zu Unrecht, so die Staatsanwaltschaft.
Die Finanzbehörden wurden über zentrale Vertragsdetails und wirtschaftliche Risiken bewusst nicht aufgeklärt. Ein echter wirtschaftlicher Nutzen bestand nicht – der einzige Vorteil war steuerlicher Natur. Das Landgericht Wiesbaden sah keinen hinreichenden Tatverdacht und lehnte die Verfahrenseröffnung ab.
Cum-Cum-Modell: OLG lässt Anklage wegen Steuerhinterziehung zu
Das Oberlandesgericht (OLG) hob den Beschluss des Landgerichts Wiesbaden auf und entschied, dass das Hauptverfahren gegen alle Angeschuldigten zu eröffnen ist. Es stellte fest, dass ein hinreichender Tatverdacht nach § 203 StPO in Verbindung mit § 370 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 1 AO (Steuerhinterziehung) sowie § 27 StGB (Beihilfe) besteht.
- Hinreichender Tatverdacht bejaht:
Das OLG sah genügend Anhaltspunkte für eine mögliche Steuerhinterziehung und Beihilfe – insbesondere wegen unvollständiger oder unrichtiger Angaben in den Steuererklärungen. - Täuschung über wirtschaftliches Eigentum:
Die Bank hatte keine echte Verfügungsgewalt oder wirtschaftliche Risiken an den Aktien – der geltend gemachte Steuervorteil war daher unberechtigt. - Verfahrenseröffnung zwingend, auch bei Zweifeln:
Selbst wenn Verurteilung und Freispruch gleich wahrscheinlich erscheinen, darf das Gericht nicht im Vorfeld entscheiden – zweifelhafte Fragen sind in der Hauptverhandlung zu klären.
Transparenz wird bei Steuergestaltungen zur Pflicht
Das Urteil betont die niedrige Schwelle zur Verfahrenseröffnung bei komplexen Steuerdelikten:
Gerichte dürfen steuerstrafrechtlich relevante Sachverhalte nicht vorschnell abweisen, nur weil Beweislagen kompliziert oder rechtliche Bewertungen umstritten sind. Auch bei zweifelhaften Fallkonstellationen – wie bei Cum-Cum-Modellen – muss die Hauptverhandlung zur vollständigen Aufklärung genutzt werden.
Zudem stellt das Urteil klar, dass bei rein steuerlich motivierten Gestaltungen mit fehlender wirtschaftlicher Substanz eine erhöhte Offenlegungspflicht gegenüber dem Finanzamt besteht. Andernfalls kann eine Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung durch Unterlassen oder Täuschung gegeben sein.
1. Gestaltungen vollständig offenlegen:
Bei komplexen steuerlichen Modellen müssen alle wirtschaftlich relevanten Details klar und nachvollziehbar gegenüber dem Finanzamt offengelegt werden – auch wenn sie steuerlich „ungünstig“ erscheinen.
2. Gutachten kritisch prüfen:
Interne oder externe Steuer-Gutachten schützen nicht automatisch vor Strafbarkeit, insbesondere wenn sie auf unvollständigen oder idealisierten Annahmen beruhen. Gutachter sollten neutral, fallbezogen und unabhängigagieren.
3. Substanz vor Steuervorteil stellen:
Wer Modelle nutzt, die nur auf steuerliche Effekte zielen, ohne wirtschaftlichen Eigenzweck, riskiert den Vorwurf des Gestaltungsmissbrauchs (§ 42 AO). Steuerersparnis darf nicht der einzige wirtschaftliche Antrieb sein.
Quelle: OLG Frankfurt, 10.12.2024 - 3 Ws 231/24