Vertragliche Erbeinsetzung lässt späteren Widerruf nicht ohne Weiteres zu
In Erbverträgen kommt es immer wieder vor, dass bestimmte Konstellationen - etwa das Vorversterben eines eingesetzten Erben - nicht ausdrücklich geregelt sind. In solchen Fällen kann durch ergänzende Auslegung ermittelt werden, was die Vertragsparteien vereinbart hätten, wenn sie die später eingetretenen Umstände gekannt hätten. Dies betrifft insbesondere die Frage, ob eine Ersatzerbenregelung gewollt war und ob diese vertragliche Bindungswirkung im Sinne des § 2289 Abs. 1 Satz 2 BGB entfalten sollte.
Was ist geschehen?
Die Beteiligten streiten über die Erbfolge nach der am 4. Mai 2023 verstorbenen Erblasserin. Diese hatte mit ihrem bereits 2021 verstorbenen Ehemann und ihrem 2022 verstorbenen Sohn am 12. März 1994 einen notariellen Erbvertrag geschlossen. Die Eheleute setzten sich gegenseitig zu Alleinerben ein und bestimmten ihren Sohn erbvertraglich zum Erben des Längstlebenden. Die Töchter (Beteiligte zu 3, 4 und 5) verzichteten in derselben Urkunde auf Erb- und Pflichtteilsansprüche gegen bestimmte Leistungen.
Nach dem Tod der Erblasserin wurde eine handschriftliche Notiz vom 1. September 2022 vorgelegt, in der die Erblasserin ihrer ältesten Tochter Elke (Beteiligte zu 3) „alles“ vermachte. Die Enkel (Beteiligte zu 1 und 2) der Erblasserin beantragten einen Erbschein zu je 1/2 Anteil, wurden aber vom Amtsgericht und vom OLG abgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgen sie ihr Begehren weiter.
Rechtliche Würdigung durch das Beschwerdegericht
Das Beschwerdegericht nahm an, dass der Erbvertrag keine Anhaltspunkte für einen Willen zur Einsetzung von Ersatzerben enthält. Es gelte daher die gesetzliche Auslegungsregel des § 2069 BGB, die auch auf Erbverträge anzuwenden sei.
Voraussetzung für die Anwendung des § 2069 BGB sei jedoch, dass sich die vertragliche Bindung auch auf mögliche Ersatzerben beziehe. Eine solche Bindung sah das Gericht nicht als gegeben an. Die Erblasserin habe daher neu verfügen können und von diesem Recht mit der handschriftlichen Verfügung vom 1. September 2022 Gebrauch gemacht, mit der sie die Beteiligte zu 3 zur Alleinerbin eingesetzt habe.
In der früheren Erbeinsetzung des Sohnes sah das Gericht keine Bindung zugunsten seiner Abkömmlinge. Auch die Übernahme der Abfindung für die ausschlagenden Schwestern reiche hierfür nicht aus.
Rechtliche Beurteilung durch den BGH
Der Bundesgerichtshof (BGH) hält die Entscheidung des Beschwerdegerichts nicht für rechtsfehlerfrei. Die Beteiligten zu 1 und 2 sind als Ersatzerben für ihren vorverstorbenen Vater einzusetzen. Dies ergebe sich bereits aus dem Erbvertrag oder - jedenfalls - aus der Auslegungsregel des § 2069 BGB i.V.m. § 2279 Abs. 1 BGB. Entscheidend ist, dass ein entgegenstehender Wille der Erblasserin nicht festgestellt werden kann.
Die spätere handschriftliche Verfügung der Erblasserin zugunsten der Beteiligten zu 3 vom 1. September 2022 ist gemäß § 2289 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam, da sie in das vertraglich abgesicherte Erbrecht der Beteiligten zu 1 und 2 eingreift.
Die Ersatzerbeneinsetzung der Beteiligten zu 1 und 2 ist durch den Erbvertrag erfasst und vertragsmäßig bindend. Eine anderweitige Verfügung war der Erblasserin daher nicht mehr möglich.
Maßstab der Auslegung von Erbverträgen
Für die Auslegung eines Erbvertrags gelten die allgemeinen Auslegungsregeln der §§ 133, 2084 BGB, bei vertraglichen Verfügungen zusätzlich auch die §§ 133, 157 BGB. Maßgeblich ist der Wille der Vertragsparteien im Zeitpunkt der Errichtung des Erbvertrags.
Ob eine Verfügung einseitig oder vertragsmäßig ist, hängt unter anderem davon ab, ob der Vertragspartner ein eigenes Interesse an der Verfügung hat. Dies ist hier zu bejahen, da es sich bei der Erbeinsetzung des Sohnes um eine gemeinsame Verfügung der Eltern mit erkennbar bindendem Charakter handelt.
Für die Anwendung des § 2270 Abs. 2 BGB bestehe kein Raum, wenn die Ersatzerbenberufung auf § 2069 BGB gestützt werde. Die Bindungswirkung des Erbvertrags ist grundsätzlich stärker als die des gemeinschaftlichen Testaments. Sie ergebe sich unmittelbar aus der vertraglichen Vereinbarung und könne grundsätzlich nur durch eine ausdrückliche Widerrufsregelung beseitigt werden.
Ergänzende Auslegung: Ersatzerbeinsetzung der Enkel im Erbvertrag
Die Ersatzerbeinsetzung der Beteiligten zu 1 und 2 ergibt sich aus ergänzender Auslegung des Erbvertrags. Diese ist zulässig, da der Vertrag eine planwidrige Lücke aufweist: Der Fall, dass der als Schlusserbe eingesetzte Sohn vorverstirbt, wurde von den Eheleuten bei Vertragsschluss erkennbar nicht bedacht und daher nicht geregelt.
Die Gesamtumstände – insbesondere das Alter des Sohnes, die Erbverzichtsverträge der Töchter und der erkennbare Regelungswille der Eheleute – sprechen dafür, dass bei Kenntnis des möglichen Vorversterbens die Abkömmlinge des Sohnes als Ersatzerben eingesetzt worden wären. Ziel war eine abschließende Nachlassregelung zugunsten der Linie des Sohnes.
Auch ein hypothetischer Wille zur vertraglichen Bindung dieser Ersatzerbeneinsetzung ist anzunehmen. Weder eine Änderungsbefugnis noch ein abweichender Wille sind dem Vertrag zu entnehmen. Die ergänzende Auslegung führt daher zu einer vertraglichen Ersatzerbeneinsetzung der Enkel im Sinne des § 2289 Abs. 1 Satz 2 BGB.
• Regelungslücken vermeiden: Bei der Erstellung von Erbverträgen immer auch den Fall des Vorversterbens eines eingesetzten Erben ausdrücklich regeln – etwa durch klare Ersatzerbenbestimmungen.
• Bindungswirkung prüfen: Vertragsmäßige Verfügungen im Erbvertrag binden die Vertragsparteien – spätere abweichende Verfügungen (z. B. Testamente) sind nur wirksam, wenn kein vertraglicher Bindungswille besteht (§ 2289 Abs. 1 S. 2 BGB).
• Ergänzende Auslegung durch Gericht: Fehlt eine ausdrückliche Regelung, kann durch ergänzende Auslegung (§§ 133, 157, 2084 BGB) festgestellt werden, was die Erblasser gewollt hätten – insbesondere bei der Frage nach der Ersatzerbeneinsetzung.
Quellen
BGH, Beschluss vom 26.03.2025 - IV ZB 15/24