Einziehung bleibt trotz Fristüberschreitung zulässig

Fristversäumnis allein schützt nicht vor Vermögensabschöpfung Die Einziehung von Taterträgen zählt zu den schärfsten Instrumenten der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung - doch was passiert, wenn die Entscheidung darüber erst lange nach dem...

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Fristversäumnis allein schützt nicht vor Vermögensabschöpfung

Die Einziehung von Taterträgen zählt zu den schärfsten Instrumenten der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung – doch was passiert, wenn die Entscheidung darüber erst lange nach dem Urteil erfolgt? Mit dieser Frage hatte sich das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt zu befassen. Im Zentrum stand dabei die sogenannte Sechsmonatsfrist des § 423 Abs. 2 StPO. Der Beschwerdeführer argumentierte, die Frist sei überschritten – die Einziehung damit unzulässig. Das OLG aber stellte klar: Auch bei zeitlich verzögerter Entscheidung bleibt die Einziehung rechtmäßig. Der Beschluss ist von großer Bedeutung für Wirtschaftsstrafverfahren mit abgetrennten Vermögensfragen – und sendet ein deutliches Signal: Eine verspätete Entscheidung über die Einziehung kann nicht pauschal zu deren Aufhebung führen.

 

Was ist passiert?

Der Beschwerdeführer war bereits 2017 vom Landgericht Darmstadt wegen mehrfacher Beihilfe zur Steuerhinterziehung sowie zum Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt verurteilt worden. Die Entscheidung über die Einziehung der Taterträge wurde damals jedoch gemäß § 422 StPO abgetrennt. Nach Aufhebung des Urteils durch den Bundesgerichtshof erfolgte 2019 eine erneute Verurteilung, diesmal durch eine andere Kammer des Landgerichts – erneut ohne Entscheidung zur Einziehung.

Erst im Juli 2024, also knapp fünf Jahre nach Rechtskraft des Urteils, wurde die Einziehung nachgeholt: Das Landgericht Darmstadt ordnete die Einziehung von 104.014,76 Euro als Wertersatz an. Der Verurteilte wehrte sich mit sofortiger Beschwerde – sein zentrales Argument: Die Sechsmonatsfrist des § 423 Abs. 2 StPO sei deutlich überschritten worden. Zudem bestritt er, die ermittelten Beträge tatsächlich erlangt zu haben.

 

Warum war die späte Einziehung dennoch rechtmäßig?

Das Oberlandesgericht Frankfurt hat klargestellt: Die Einziehung des Wertes von Taterträgen bleibt auch nach Ablauf der in § 423 Abs. 2 StPO genannten Sechsmonatsfrist zulässig. Zwar regelt die Vorschrift, dass die Entscheidung nach Abtrennung „spätestens sechs Monate“ nach Rechtskraft des Haupturteils erfolgen soll. Doch das Gericht betont, dass es sich hierbei nicht um eine zwingende Ausschlussfrist handelt, sondern lediglich um eine Sollvorschrift – mit bewusst offener Rechtsfolge.

Ausschlaggebend waren für das OLG drei rechtliche Erwägungen:

  1. Keine gesetzliche Ausschlusswirkung:
    Der Wortlaut des § 423 Abs. 2 StPO enthält keine Formulierung, die eine verbindliche Frist oder gar eine automatische Unwirksamkeit verspäteter Entscheidungen anordnet. Der Gesetzgeber hat bewusst auf eine Sanktionierung bei Fristüberschreitung verzichtet.
  2. Zweck der Norm: Verfahrensbeschleunigung – kein Strafverzicht:
    Die Vorschrift zielt auf einen zügigen Abschluss ab, um Rechtsklarheit zu schaffen. Sie soll jedoch nicht dazu führen, dass Taterträge dauerhaft beim Täter verbleiben, nur weil die Justiz nicht schnell genug agiert.
  3. Sicherung des staatlichen Einziehungsinteresses:
    Eine restriktive Auslegung würde der Vermögensabschöpfung ihre Wirksamkeit nehmen – gerade in komplexen Wirtschaftsstrafverfahren. Das Gericht schützt damit den Grundgedanken der Einziehung: Täter sollen kriminell erlangte Vorteile nicht behalten dürfen.

 

Weichenstellung für die strafrechtliche Vermögensabschöpfung

Die Entscheidung des OLG Frankfurt hat weitreichende Bedeutung für die Praxis der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung. Sie stellt klar, dass die Frist des § 423 Abs. 2 StPO keine materielle Ausschlusswirkung entfaltet. Damit stärkt das Gericht die Durchsetzbarkeit von Einziehungsentscheidungen auch dann, wenn diese erst mit erheblicher Verzögerung nach Rechtskraft des Hauptverfahrens erfolgen. Gerade in komplexen Wirtschaftsstrafverfahren mit mehreren Beteiligten und umfangreichen Ermittlungen ist das ein zentraler Aspekt.

Zugleich gibt das Urteil der Strafjustiz ein klares Signal: Eine verspätete Entscheidung über die Einziehung führt nicht automatisch zur Straflosigkeit in Bezug auf Taterträge. Der Staat bleibt in der Lage, unrechtmäßig erlangtes Vermögen auch nach Ablauf der Regelfrist abzuschöpfen – sofern die materiellen Voraussetzungen gegeben sind. Für Betroffene bedeutet dies: Allein der Zeitablauf schützt nicht vor einer Einziehung. Für die Strafverfolgungsbehörden bedeutet es hingegen Handlungssicherheit, selbst wenn organisatorische oder prozessuale Verzögerungen eintreten.

Tipp:

1. Keine Ausschlussfrist bei Fristüberschreitung:
Die Sechsmonatsfrist des § 423 Abs. 2 StPO ist keine Sperre – Einziehungen bleiben auch nach Fristablauf zulässig.

2. Schätzungen gezielt angreifen:
Wird der Tatertrag nur geschätzt, sollten Betroffene die zugrundeliegenden Berechnungen kritisch prüfen und Beweise entgegenhalten.

3. Urteilsfeststellungen strategisch nutzen:
Da die Einziehung auf den Urteilsfeststellungen basiert, lohnt sich deren frühzeitige Analyse für eine effektive Verteidigung.

 

Quelle: Oberlandesgericht Frankfurt a. M.: Beschluss vom 04.02.2025 – 3 Ws 409/24

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