Kumulativer Erbteilserwerb bei Minderjährigenadoption
Die Adoption eines Kindes hat weitreichende erbrechtliche Folgen. Die Annahme als Kind begründet ein rechtliches Eltern-Kind-Verhältnis, das auch die erbrechtliche Stellung des Adoptivkindes betrifft. Dabei ist zwischen der schwachen und der starken Adoption zu unterscheiden. Die Adoption eines minderjährigen Kindes führt in der Regel zur vollständigen Einfügung in die neue Familie und zugleich zur Beendigung der erbrechtlichen Bindungen zur Herkunftsfamilie. Bei einer Adoption Volljähriger kann das Verwandtschaftsverhältnis zu den leiblichen Verwandten bestehen bleiben, insbesondere bei einer sogenannten schwachen Erwachsenenadoption. Dies kann zu komplexen erbfolgerechtlichen Konstellationen führen, insbesondere wenn Adoptivkinder in mehreren Familien erbberechtigt sind.
Adoptionsbedingte Erbfolgeproblematik
Die am 9. Januar 2016 verstorbene, kinderlose Erblasserin hinterließ kein Testament. Sie hatte mehrere Geschwister, von denen einige bereits vorverstorben waren. Der Beteiligte zu 1 ist das leibliche Kind einer Schwester der Erblasserin und wurde 1967 von einer anderen Schwester adoptiert. Er beansprucht einen Erbteil von ½, gestützt auf eine doppelte Erbberechtigung: sowohl im leiblichen als auch im adoptivrechtlichen Stamm. Die übrigen Beteiligten bestreiten dies mit Verweis auf das zum Zeitpunkt der Adoption geltende Recht, nach dem keine Verwandtschaft zu den Geschwistern der Adoptiveltern entstand.
Das Nachlassgericht hat die Voraussetzungen für den beantragten Erbschein festgestellt. Das OLG Frankfurt hat die Beschwerde der übrigen Beteiligten zurückgewiesen.[1]
Erbberechtigung des Adoptivkinds in mehreren Stämmen
Mangels Testament richtet sich die Erbfolge nach gesetzlichem Recht (§§ 1924 ff. BGB). Die Erblasserin hatte keine Kinder, war verwitwet und wurde daher gemäß §§ 1930, 1925 BGB durch die zweite Ordnung beerbt – das heißt, durch ihre Eltern und deren Abkömmlinge.
Da die Eltern bereits verstorben waren, treten deren Kinder bzw. deren Abkömmlinge gemäß § 1925 Abs. 3 Satz 2 BGB i. V. m. § 1924 Abs. 3 BGB an deren Stelle.
Anwendung des Adoptionsrechts
Mit dem Inkrafttreten des Adoptionsgesetzes am 1. Januar 1977 gelten für Minderjährige abweichende Regelungen. Gemäß Art. 12 § 2 Abs. 1 Adoptionsgesetz (AdoptG) richten sich die Rechtsfolgen für danach eintretende Fälle nach neuem Recht, sofern das Adoptivkind am 1. Januar 1977 noch minderjährig war und keine gegenteilige Erklärung abgegeben wurde. Das Adoptivkind wird rechtlich wie ein leibliches Kind der Adoptiveltern behandelt und ist damit voll in den Adoptivstamm integriert. Infolgedessen besteht ein Erbanspruch in Höhe von einem Viertel auch im Stamm der Adoptivmutter. Im Falle einer Adoption durch Verwandte zweiten oder dritten Grades bleibt das Verwandtschaftsverhältnis zur übrigen Herkunftsfamilie bestehen, während das unmittelbare Verhältnis zu den leiblichen Eltern erlischt. Das Adoptivkind kann also auch im leiblichen Stamm (hier: über die leibliche Mutter) erben.
Streit über den Mehrfacherwerb
Ein Teil der Literatur lehnt die doppelte Erbberechtigung ab und beruft sich auf § 1755 Abs. 1 BGB, wonach mit der Adoption das Verwandtschaftsverhältnis zur Herkunftsfamilie erlischt.
Demgegenüber betont die herrschende Meinung, dass § 1756 Abs. 1 BGB bewusst nur das unmittelbare Verhältnis zu den leiblichen Eltern kappt – nicht aber das vermittelte Verhältnis zur weiteren Familie. Eine bloße Umverteilung innerhalb derselben Großfamilie rechtfertigt keinen vollständigen Verwandtschaftsverlust.
Das OLG Frankfurt folgt der herrschenden Auffassung: Bei einer Minderjährigenadoption durch eine Tante bleibt das Erbrecht im leiblichen und im Adoptivstamm erhalten. Der Beteiligte zu 1 kann daher gemäß § 1927 Satz 1 BGB zwei Erbteile geltend machen – je ¼ über seine leibliche und über seine Adoptivmutter.
• Adoptionsform klärt Erbrecht: Bei Minderjährigenadoptionen erlischt in der Regel das Erbrecht zur Herkunftsfamilie, während bei schwachen Erwachsenenadoptionen das Erbrecht in beiden Familien bestehen kann.
• Mehrfache Erbberechtigung möglich: Wird ein Kind z. B. von einer Tante adoptiert, kann es erbrechtlich sowohl im leiblichen als auch im Adoptivstamm berechtigt sein – etwa bei gesetzlicher Erbfolge ohne Testament.
• Rechtslage zum Adoptionszeitpunkt entscheidend: Für die erbrechtlichen Folgen ist entscheidend, ob das alte oder neue Adoptionsrecht Anwendung findet – insbesondere bei Adoptionen vor 1977 oder bei älteren Kindern.
Quellen
[1] OLG Frankfurt a. M. Beschluss vom 15.12.2021 – 21 W 170/21