Betriebliche Schulden mindern schädliche Finanzmittel – neues Urteil schützt produktive Unternehmen
Wenn Betriebsvermögen verschenkt oder vererbt wird, entscheidet oft eine komplizierte Zahl über hohe Steuerzahlungen: die 90 %-Grenze. Gerade Handelsunternehmen mussten bisher fürchten, allein wegen hoher Finanzmittel von der Steuervergünstigung ausgeschlossen zu werden – selbst wenn sie operativ tätig waren.
Jetzt hat der Bundesfinanzhof (BFH) ein wichtiges Signal gesetzt: Betriebliche Schulden müssen beim sogenannten 90 %-Einstiegstest berücksichtigt werden. Das schafft neue Rechtssicherheit und schützt produktives Betriebsvermögen vor ungerechter steuerlicher Belastung
Was ist passiert?
Im Jahr 2017 erhielt eine Tochter sämtliche Anteile an der GmbH ihres Vaters, einem pharmazeutischen Handelsunternehmen. Das Unternehmen verfügte über hohe Finanzmittel – unter anderem Forderungen aus Lieferungen und Leistungen – und gleichzeitig über erhebliche betriebliche Schulden.
Das Finanzamt sah die hohen Finanzmittel als schädliches Verwaltungsvermögen an und verweigerte die Begünstigung nach § 13a ErbStG. Der Grund: Beim sogenannten 90 %-Einstiegstest wurde der Finanzmittelbestand ohne Abzug der Schulden bewertet, sodass das Unternehmen scheinbar überwiegend aus Verwaltungsvermögen bestand.
Die Tochter wehrte sich dagegen und bekam Recht: Das Finanzgericht Münster entschied, dass die betrieblichen Schulden von den Finanzmitteln abgezogen werden müssen, wenn der Hauptzweck des Unternehmens eine gewerbliche Tätigkeit ist.
Das Finanzamt legte Revision ein, doch der Bundesfinanzhof bestätigte die Entscheidung – mit grundsätzlicher Bedeutung für viele Unternehmen.
Warum der 90 %-Test Handelsunternehmen nicht mehr ungerecht trifft
Der Bundesfinanzhof hat die Entscheidung des Finanzgerichts bestätigt und das Finanzamt verpflichtet, die Schenkungsteuer auf 0 € festzusetzen. Dabei stützte sich das Gericht im Wesentlichen auf drei zentrale Erwägungen:
- Abzug betrieblicher Schulden bei Finanzmitteln:
Für den 90 %-Einstiegstest müssen die betrieblich veranlassten Schulden von den Finanzmitteln abgezogen werden. Nur so wird der tatsächliche wirtschaftliche Wert des Verwaltungsvermögens korrekt abgebildet. - Hauptzweck der unternehmerischen Tätigkeit:
Weil das Unternehmen der Tochter hauptsächlich einer gewerblichen Tätigkeit diente (Handelsunternehmen mit Vertrieb und Forschung), darf die reine Höhe der Finanzmittel nicht isoliert betrachtet werden. Entscheidend ist, dass sie dem laufenden Geschäftsbetrieb dienen. - Verfassungskonforme Auslegung:
Eine wortlautstrenge Anwendung, die hohe betriebsnotwendige Forderungen als schädlich behandelt, obwohl sie betrieblich gebunden sind, würde gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verstoßen. Deshalb war eine einschränkende, verfassungskonforme Auslegung geboten.
Bessere Planbarkeit für Betriebsübertragungen
Das Urteil des Bundesfinanzhofs bringt eine wichtige Klarstellung für die erbschaftsteuerliche Begünstigung von Betriebsvermögen: Bei Handelsunternehmen, die überwiegend Finanzmittel halten, muss beim sogenannten 90 %-Einstiegstest nicht allein auf die Bruttowerte abgestellt werden. Stattdessen sind betrieblich veranlasste Schulden von den Finanzmitteln abzuziehen, bevor entschieden wird, ob eine Steuerbegünstigung entfällt. Damit verhindert das Urteil, dass produktive Unternehmen – wie etwa Handelsgesellschaften mit hohem Forderungsbestand – allein aufgrund rechnerischer Überschüsse an Finanzmitteln von der steuerlichen Begünstigung ausgeschlossen werden. Steuerpflichtige erhalten dadurch mehr Rechtssicherheit und können sich bei der Unternehmensnachfolge besser auf eine vorteilhafte steuerliche Behandlung stützen. Zugleich verpflichtet die Entscheidung die Finanzverwaltung, bei der Prüfung genauer auf die wirtschaftliche Funktion der Finanzmittel zu achten und nicht schematisch zu besteuern.
1. Struktur der Finanzmittel frühzeitig prüfen
Vor einer geplanten Übertragung sollten Finanzmittel und betriebliche Schulden genau analysiert werden. Nur so lässt sich rechtzeitig erkennen, ob die Voraussetzungen für eine Steuerbegünstigung erfüllt sind.
2. Hauptzweck der Gesellschaft klar dokumentieren
Um Streitigkeiten mit dem Finanzamt zu vermeiden, sollte der gewerbliche Hauptzweck des Unternehmens klar belegt und dokumentiert werden – etwa durch Gesellschaftsverträge, Geschäftsberichte oder betriebliche Unterlagen.
3. Verhältnis von Finanzmitteln und Schulden im Blick behalten
Betriebliche Verbindlichkeiten können die schädliche Wirkung hoher Finanzmittel abmildern. Deshalb lohnt es sich, gerade bei Handelsunternehmen auf eine betriebswirtschaftlich saubere Bilanzstruktur zu achten.
Quelle: BFH-Urteil vom 13. September 2023, II R 49/21