Wenn der Verdacht stärker wiegt als die Wahrheit
Was als Betriebsprüfung begann, endete in Hausdurchsuchung, Arrest und Strafverfahren: Eine Geschäftsführerin sah sich plötzlich schweren Vorwürfen der Steuerhinterziehung ausgesetzt. Der Grund? Zahlungen an ihren Lebensgefährten – scheinbar ohne nachvollziehbare Grundlage. Erst viel später kam ans Licht: Es gab sehr wohl eine vertragliche Basis – nur wurde sie zu spät vorgelegt. Trotz Verfahrenseinstellung verweigerte das Amtsgericht ihr die Entschädigung. Doch jetzt sorgt ein neuer Beschluss für Gerechtigkeit: Die Frau wird entschädigt. Der Fall zeigt, wie dünn die Linie zwischen Pflichtverletzung und menschlichem Versäumnis sein kann – und dass der Rechtsstaat auch für die Beschuldigten da ist.
Was ist passiert?
Die Geschäftsführerin einer GmbH zahlte zwischen 2015 und 2017 über 560.000 € an ihren Lebensgefährten – angeblich als Provisionen. Das Finanzamt vermutete verdeckte Gewinnausschüttungen und leitete ein Steuerstrafverfahren ein. Es folgten Durchsuchungen und Vermögensarreste. Später fand die Steuerfahndung einen bislang nicht vorgelegten Vertrag über eine atypisch stille Gesellschaft, der die Zahlungen rechtfertigen konnte. Das Verfahren wurde eingestellt. Die Frau beantragte Entschädigung – das Amtsgericht lehnte ab wegen angeblicher grober Fahrlässigkeit. Das Landgericht hob den Beschluss auf: Die Frau sei steuerlich unerfahren gewesen, grobe Fahrlässigkeit lag nicht vor – sie erhält Entschädigung.
Unwissen schützt doch vor Strafe – zumindest bei der Entschädigung
Das Landgericht Nürnberg-Fürth stellte sich bewusst gegen die Einschätzung des Amtsgerichts und entschied zugunsten der Beschuldigten. Es betonte, dass eine Entschädigung nach dem StrEG nicht leichtfertig mit dem Vorwurf grober Fahrlässigkeit verweigert werden darf. Maßgeblich sei eine differenzierte Betrachtung des Einzelfalls. Die Entscheidung stützt sich auf folgende zentrale Erwägungen:
- Keine automatische grobe Fahrlässigkeit bei Verletzung der Mitwirkungspflicht
Zwar hätte die Beschuldigte den Vertrag über die atypisch stille Gesellschaft vorlegen müssen – doch das allein begründet noch keinen groben Pflichtenverstoß. Ein einfaches Versehen oder Unwissen genügt für den Ausschluss nach § 5 Abs. 2 StrEG nicht. - Persönliche Unerfahrenheit und fachfremder Hintergrund
Die Kammer würdigte, dass die Beschuldigte als Sozialpädagogin weder über steuerliches Fachwissen verfügte noch professionell im Immobilienbereich tätig war. Sie war in die geschäftlichen Abläufe eher zufällig durch ihren Lebensgefährten hineingeraten. - Keine konkrete Belehrung oder Nachfrage durch die Prüfer
Aus den Akten ergaben sich keine Hinweise darauf, dass der Betriebsprüfer die Möglichkeit einer verdeckten Gewinnausschüttung konkret angesprochen oder eine Vorlage des Vertrags verlangt hatte. Damit hatte die Beschuldigte auch keinen Anlass, die steuerliche Relevanz des Dokuments zu erkennen. - Bewertung nach dem Zeitpunkt der Maßnahmen
Ob eine Entschädigung ausgeschlossen ist, beurteilt sich nach dem Stand der Dinge zum Zeitpunkt der Anordnung der Durchsuchung bzw. des Arrests. Dass der entlastende Vertrag später auftauchte, ändert nichts daran, dass sein Fehlen zu diesem Zeitpunkt nicht grob fahrlässig war. - Wertung des § 5 Abs. 2 Satz 2 StrEG entsprechend übertragbar
Das Gericht übertrug die Wertung des § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Alt StrEG auf die vorliegende Konstellation: Wer schweigt oder entlastende Unterlagen nicht beibringt, handelt nicht automatisch grob fahrlässig – solange kein deutliches Warnsignal übersehen wurde.
Ein wichtiges Signal für Laien in Steuerstrafverfahren
Das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth betont die Bedeutung einer differenzierten Betrachtung im Entschädigungsrecht nach dem StrEG. Es stellt klar: Ein Verstoß gegen steuerliche Mitwirkungspflichten begründet nicht automatisch grobe Fahrlässigkeit. Entscheidend ist, ob die betroffene Person – etwa aufgrund fehlender steuerlicher Kenntnisse – die Relevanz ihres Verhaltens überhaupt erkennen konnte.
Gerade für fachfremde Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer ist das ein wichtiges Signal: Wer nicht bewusst oder leichtfertig handelt, sondern aus Unwissenheit Fehler macht, darf nicht von einer Entschädigung ausgeschlossen werden. Das Urteil stärkt damit die Rechte von Laien in Steuerstrafverfahren und schützt sie vor einer pauschalen Versagung von Entschädigungen bei unrechtmäßigen Maßnahmen wie Durchsuchungen oder Vermögensarresten.
1. Relevante Verträge frühzeitig offenlegen
Auch wenn sie auf den ersten Blick unwichtig erscheinen: Verträge über Geschäftsbeziehungen – etwa atypisch stille Beteiligungen – sollten bei Betriebsprüfungen stets vorgelegt werden. Sie können im Ernstfall entscheidend sein.
2. Fachliche Beratung in Anspruch nehmen
Wer steuerlich nicht vorgebildet ist, sollte sich frühzeitig durch Steuerberater oder Fachanwälte begleiten lassen. Das schützt nicht nur vor Ermittlungen, sondern sichert auch die eigene Rechtsposition im Nachhinein ab.
3. Nicht vorschnell auf Entschädigung verzichten
Wird ein Verfahren eingestellt, lohnt sich ein Antrag auf Entschädigung nach dem StrEG – auch dann, wenn einem Mitwirkungsfehler vorgeworfen wird. Gerichte müssen genau prüfen, ob wirklich grobe Fahrlässigkeit vorliegt.
Quellen
Landgericht Nürnberg-Fürth: Beschluss vom 13.03.2025 – 12 Qs 62/24