Haftung trotz neutraler Tätigkeit? Der BGH setzt klare Grenzen für Berater im Umfeld betrügerischer Geschäftsmodelle
Im Schatten eines millionenschweren Kapitalanlagebetrugs um eine GmbH steht eine Frau, die über Jahre als Steuerberaterin, Buchhalterin und Ehefrau des Mitgeschäftsführers tief in das Firmengeflecht eingebunden war. Während die Strafjustiz bereits zu einer Verurteilung wegen Beihilfe zum Betrug gekommen ist, blieb der Zivilprozess bisher hinter den Erwartungen der geschädigten Anleger zurück.
Doch nun hat der Bundesgerichtshof das Berufungsurteil aufgehoben – mit deutlicher Kritik an der Beweiswürdigung des OLG Stuttgart. Die Frage, ob berufstypische Handlungen wie Buchführung oder Steuerberatung zur Förderung eines Betrugs ausreichen, wenn der Täter das Geschäftsmodell kannte oder es zumindest für möglich hielt, rückt damit erneut ins Zentrum. Der Fall zeigt eindrücklich, wie komplex die Haftungsabwägung im Zivilrecht wird, wenn rechtliche, wirtschaftliche und persönliche Verbindungen miteinander verschmelzen.
Was ist passiert?
Die Kläger hatten in das Geschäftsmodell der inzwischen insolventen GmbH investiert, die angeblich elektronische Datenspeichersysteme an staatliche und gewerbliche Nutzer vermietete. Tatsächlich existierten diese Speichermedien nie – das Unternehmen betrieb ein klassisches Schneeballsystem, bei dem Auszahlungen an Anleger ausschließlich aus neuen Einzahlungen finanziert wurden.
Die beklagte Steuerberaterin war seit 2011 für die Gesellschaft tätig – zunächst als Buchhalterin und steuerliche Beraterin, später auch als Ehefrau eines der Geschäftsführer. Sie erhielt ein hohes monatliches Honorar und war eng in die Finanzstruktur eingebunden. Nach einer Selbstanzeige des Haupttäters im Jahr 2017 wurde sie strafrechtlich wegen Beihilfe zum Betrug verurteilt, nachdem sie in der Hauptverhandlung ein Geständnis abgelegt hatte.
Zivilrechtlich klagten die Anleger auf Schadensersatz. Sie warfen der Beklagten vor, das betrügerische System bewusst mitgetragen und durch ihre berufliche Tätigkeit gestützt zu haben. Das Landgericht und das Berufungsgericht wiesen die Klage jedoch ab: Ein vorsätzliches Mitwirken am Betrug habe sich nicht sicher feststellen lassen, auch das Geständnis sei – so das Berufungsgericht – möglicherweise nur strategisch motiviert gewesen.
BGH kippt Freispruch für Steuerberaterin im Anlageskandal
Der Bundesgerichtshof hat das Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 30. März 2023 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung an einen anderen Zivilsenat zurückverwiesen. Damit gab der BGH der Revision der geschädigten Anleger statt, die die beklagte Steuerberaterin auf Schadensersatz wegen Beihilfe zum Betrug und sittenwidriger Schädigung verklagt hatten.
Kern der Entscheidung:
Das Berufungsgericht habe den Sachverhalt in mehrfacher Hinsicht rechtsfehlerhaft gewürdigt und zentrale juristische Maßstäbe nicht beachtet. Insbesondere sei die Ablehnung eines Gehilfenvorsatzes der Beklagten rechtsfehlerhaft erfolgt.
Die zentralen Begründungen:
- Unvollständige Prüfung der Beihilfevoraussetzungen:
Das OLG hatte nur geprüft, ob die Steuerberaterin positive Kenntnis vom Schneeballsystem hatte. Der BGH stellte jedoch klar: Auch bedingter Vorsatz genügt – also die bewusste Inkaufnahme eines hohen Risikos strafbaren Handelns Diese Möglichkeit wurde rechtsfehlerhaft nicht einbezogen. - Überspannte Anforderungen an die Beweisführung:
Das Berufungsgericht hatte verlangt, dass einzelne Indizien „zwingend“ auf ein vorsätzliches Verhalten hinweisen müssen. Der BGH stellte klar: Nach § 286 ZPO genügt ein Gesamtbild aus mehreren Indizien, aus dem sich eine Überzeugung mit hinreichender Sicherheit ergibt – eine absolute Gewissheit ist nicht erforderlich. - Fehlende Gesamtschau der Indizien:
Zahlreiche Indizien – etwa das detaillierte Geständnis der Beklagten im Strafprozess, die auffälligen Zahlungsflüsse in der Buchhaltung, der fingierte „abgekürzte Zahlungsweg“ und die fehlende Dokumentation der angeblichen Speichermedien – wurden isoliert betrachtet, statt in ihrer Gesamtheit gewürdigt zu werden. - Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG):
Das Berufungsgericht hatte zentrale Aussagen einer Zeugin, die auf massive Auffälligkeiten in der Rechnungslegung hingewiesen hatte, unbeachtet gelassen – obwohl diese Aussagen für die Beurteilung der subjektiven Tatseite der Beklagten wesentlich waren.
BGH verschärft Maßstab für Gehilfenhaftung bei Wirtschaftsstraftaten
Mit diesem Beschluss stärkt der Bundesgerichtshof die zivilrechtliche Haftung bei Beihilfehandlungen in Wirtschaftsstraftaten. Besonders hervorzuheben ist, dass der BGH die Anforderungen an den Gehilfenvorsatz im Zivilprozess konkretisiert und damit deutlich macht: Auch sogenannte „berufstypisch neutrale Handlungen“ – wie Steuerberatung oder Buchhaltung – können haftungsbegründend sein, wenn der Beteiligte ein hohes Risiko strafbaren Handelns erkennt und dieses billigend in Kauf nimmt.
Zugleich macht der BGH klar, dass eine Beweiswürdigung nicht isoliert erfolgen darf, sondern sämtliche Indizien in ihrer Gesamtschau bewertet werden müssen. Auch Geständnisse aus Strafverfahren dürfen nicht vorschnell relativiert werden – insbesondere dann nicht, wenn sie durch weitere Beweismittel gestützt sind.
Für künftige Verfahren zur deliktischen Beraterhaftung – etwa im Zusammenhang mit Schneeballsystemen, Anlagebetrug oder insolventen Unternehmensmodellen – setzt der Beschluss klare Maßstäbe. Gerade dort, wo wirtschaftlicher Einfluss, familiäre Nähe und berufliche Rollen ineinanderfließen, wird die gesamthafte Betrachtung aller Umstände zur Pflicht. Das Urteil dürfte somit auch in künftigen Haftungsverfahren gegen Berater, Buchhalter und sonstige Unterstützer eine zentrale Rolle spielen.
- Auch „neutrale“ Tätigkeiten können haftungsträchtig sein: Steuerberater, Buchhalter oder Wirtschaftsprüfer müssen sich bewusst sein: Wer durch seine Arbeit ein betrügerisches System stützt – sei es auch ungewollt – kann bei ausreichenden Verdachtsmomenten zivilrechtlich in Anspruch genommen werden.
- Indizien müssen im Gesamtbild betrachtet werden: Gerichte dürfen Beweise nicht isoliert prüfen. Wer mehrere auffällige Umstände nachvollziehbar zusammenträgt, sollte darauf bestehen, dass diese in ihrer Gesamtschau gewürdigt werden – gerade bei komplexen Wirtschaftsstreitigkeiten.
- Geständnisse im Strafprozess nicht vorschnell abtun: Ein Geständnis im Strafverfahren entfaltet auch im Zivilprozess Wirkung – besonders, wenn es durch objektive Beweismittel gestützt wird. Gerichte müssen sich mit solchen Aussagen ernsthaft und differenziert auseinandersetzen.
Quellen
Bundesgerichtshof: Urteil vom 07.11.2024 – III ZR 79/23