Die Erteilung eines Europäischen Nachlasszeugnisses bei streitiger Erbenstellung
Die Ausstellung eines Europäischen Nachlasszeugnisses nach der Europäischen Erbrechtsverordnung (EuErbVO) dient der Vereinfachung grenzüberschreitender Erbfälle innerhalb der Europäischen Union. In Fällen, in denen sich Vermögenswerte des Erblassers in mehreren Mitgliedstaaten befinden, stellt das ENZ ein einheitliches Nachweisinstrument über die erbrechtliche Stellung der Beteiligten dar.
Im vorliegenden Fall war streitig, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Erteilung eines solchen Nachlasszeugnisses vorliegen, nachdem das Nachlassgericht den Antrag wegen möglicher weiterer, bislang unbekannter Erben zurückgewiesen hatte. Der folgende Beitrag befasst sich mit der rechtlichen Bewertung dieser Zurückweisung im Beschwerdeverfahren und den Voraussetzungen für die Erteilung eines Europäischen Nachlasszeugnisses bei behaupteter, aber nicht nachgewiesener Mehrerbenstellung.
Was ist geschehen?
Aus der geschiedenen Ehe des Erblassers (E) sind die Beteiligten zu 1 bis 3 (B 1-3) und eine weitere Person als Kinder hervorgegangen. Eine Verfügung von Todes wegen liegt nicht vor. Zum Nachlass gehört u.a. Grundbesitz in Frankreich.
Mit notarieller Urkunde vom 2. November 2023 beantragten B 1 und B 2 die Erteilung eines Europäischen Nachlasszeugnisses aufgrund gesetzlicher Erbfolge. Das beantragte Europäische Nachlasszeugnis sollte B 1 bis B 3 sowie eine weitere Person als Miterben zu gleichen Teilen ausweisen.
Das Amtsgericht wies den Antrag am 24. Juli 2024 zurück. Hintergrund war die Einwendung von B 3, eine unbekannte Frau habe telefonisch behauptet, ein Kind des Erblassers zu sein. Aufgrund dieser Einlassung und des konsensualen Charakters des Verfahrens lehnte das Gericht die Erteilung ab.
Gegen die Entscheidung des Nachlassgerichts haben B 1 und B 2 Beschwerde eingelegt. Sie verfolgen damit ihren Antrag auf Erteilung des Europäischen Nachlasszeugnisses weiter.
Voraussetzung für das Europäische Nachlasszeugnis
Das Oberlandesgericht stellte fest, dass E seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatte. Trotz seines Wohnsitzes in Frankreich bestanden seine beruflichen, familiären und sozialen Bindungen fast ausschließlich im Inland. Das Europäische Nachlasszeugnis wird in dem Mitgliedstaat ausgestellt, dessen Gerichte nach Art. 4, 7, 10 oder 11 EuErbVO zuständig sind.[1] Dies begründet die Zuständigkeit deutscher Gerichte nach Art. 4 EuErbVO.
Nach Art. 65 i.V.m. Art. 63 EuErbVO ist den Erben ein Europäisches Nachlasszeugnis auszustellen, wenn sie ihre Rechtsstellung in einem anderen Mitgliedstaat geltend machen. Diese Voraussetzung ist erfüllt, da Nachlassgegenstände in Frankreich belegen sind.
Die gesetzliche Erbfolge nach §§ 1924, 1930 BGB weist vier Kinder als Erben zu gleichen Teilen aus. Die Behauptung der B 3 über ein weiteres Kind blieb ohne Substanz. Weder die Personenstandsurkunden noch sonstige Ermittlungen haben Anhaltspunkte für ein weiteres Kind ergeben.
Herausforderung der deutschen Gerichte
Bis vor kurzem war umstritten, ob die Ausstellungsbehörde, das sind in Deutschland die Nachlassgerichte, ein Europäisches Nachlasszeugnis ausstellen darf, wenn im Ausstellungsverfahren Einwendungen erhoben wurden. Diese Frage wurde durch die Entscheidung des EuGH dahingehend geklärt, dass auch unbegründete Einwendungen der Erteilung des Europäischen Nachlasszeugnisses entgegenstehen. Von diesem Grundsatz wird abgewichen, wenn über die Einwendungen bereits in einem gesonderten Verfahren rechtskräftig entschieden worden ist.[2]
Die Entscheidung des EuGH hat nun zur Folge, dass das Nachlassgericht über die Einwendungen nicht entscheiden kann, sondern diese im Zweifel vor den Oberlandesgerichten auszutragen sind, was zu einer erheblichen Mehrbelastung dieser Gerichte führt. Die Ausstellung des Europäischen Nachlasszeugnisses kann aber auch nach Weisung durch das Nachlassgericht erfolgen.[3]
- Unbegründete Einwände reichen nicht aus: Unbegründete Behauptungen über weitere Erben hindern die Erteilung des Europäischen Nachlasszeugnisses nicht – es bedarf konkreter Anhaltspunkte oder Beweise.
- Gerichtsstand sorgfältig prüfen: Entscheidend ist der letzte gewöhnliche Aufenthalt des Erblassers – nicht nur der Wohnsitz. Dies kann bei grenzüberschreitenden Sachverhalten entscheidend sein.
- Das Europäische Nachlasszeugnis ist kein Streitentscheidungsinstrument: Das Nachlassgericht kann im ENZ-Verfahren keine Klärung streitiger Erbansprüche herbeiführen – dies ist den ordentlichen Rechtsbehelfen vorbehalten.
Quellen
[1] OLG Saarbrücken, Beschl. v. 29.01.2025- 5 W 50/24
[2] EuGH (Fünfte Kammer), Urt. v. 23.1.2025 – C-187/23
[3] ZEV 2025, 258