Steuerhinterziehung in der Gastronomie: BGH hebt Verurteilung nach Revision wegen Anklagefehler auf

Nach manipulierten Kassensystemen und millionenschwerer Steuerverkürzung greift der BGH wegen Verfahrens- und Bewertungsfehler ein Was mit asiatischen Spezialitäten begann, endete mit einer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung - zumindest vorerst. Denn der...

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Nach manipulierten Kassensystemen und millionenschwerer Steuerverkürzung greift der BGH wegen Verfahrens- und Bewertungsfehler ein

Was mit asiatischen Spezialitäten begann, endete mit einer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung – zumindest vorerst. Denn der Bundesgerichtshof (BGH) hat das Urteil des Landgerichts Kiel teilweise aufgehoben und dabei gleich mehrere Brennpunkte des Steuerstrafrechts ins Licht gerückt: Welche Rolle spielt die Art der Gewinnermittlung? Wann liegt eine neue prozessuale Tat vor? Und welche Folgen haben unklare Urteilsfeststellungen für Strafe und Einziehung? Der Beschluss vom 12. Dezember 2024 (Az. 1 StR 416/23) zeigt, wie komplex Steuerstrafverfahren werden können – und warum formale Fehler gravierende Auswirkungen haben.

 

Was ist passiert?

Der Angeklagte betrieb ab März 2014 ein chinesisches Buffetrestaurant als Einzelunternehmer. Ab dem 1. März 2015 übernahm seine Ehefrau – die Mitangeklagte Z. – das Restaurant nach außen hin formal als Alleininhaberin. Tatsächlich jedoch blieb der Angeklagte im Hintergrund geschäftsführend aktiv und traf weiterhin grundlegende unternehmerische Entscheidungen.

Zwischen 2014 und 2018 manipulierte das Ehepaar gemeinsam das Kassensystem des Restaurants, um erhebliche Teile der Einnahmen zu verschleiern. Die Umsätze wurden nicht vollständig erfasst und tauchten weder in der Buchführung noch in den Steuererklärungen auf. In mehreren Jahren gaben sie entweder unvollständige oder überhaupt keine Umsatz-, Gewerbe- und Einkommensteuererklärungen ab.

Besonders auffällig: Für das Jahr 2014 reichte der Angeklagte seine Einkommensteuererklärung erst im August 2016 ein – nach Erlass eines Schätzungsbescheids durch das Finanzamt. Diesen Umstand interpretierte das Landgericht als weitere Tat der Steuerhinterziehung.

Insgesamt kam es zur Steuerverkürzung in erheblichem Umfang:

  • Gewerbesteuer: ca. 173.417 €
  • Umsatzsteuer: ca. 474.533 €
  • Einkommensteuer & SolZ: ca. 300.369 €

Das Landgericht Kiel verurteilte den Angeklagten deshalb wegen Steuerhinterziehung in 18 Fällen, davon 2 im Versuch, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten. Zudem wurde eine Einziehung des Tatertrags in Höhe von 901.897,25 € angeordnet – ein Teil davon gesamtschuldnerisch mit der Mitangeklagten Z.

Gegen dieses Urteil legte der Angeklagte Revision ein – mit teilweise Erfolg.

 

Von Anklagefehler bis Gewinnermittlung: Darum wurde das Urteil aufgehoben

In seinem Beschluss vom 12. Dezember 2024 stellte der Bundesgerichtshof (Az. 1 StR 416/23) gravierende rechtliche Fehler im Urteil des Landgerichts Kiel fest. Die Entscheidung zeigt exemplarisch, wie formale und materielle Mängel ein ganzes Strafurteil ins Wanken bringen können. Im Kern nennt der BGH folgende fünf Gründe für die teilweise Aufhebung:

  1. Unzulässige Verfahrensausweitung (§ 206a StPO):
    Ein Fall (Ziffer II.2) wurde verhandelt, obwohl er nicht Gegenstand der Anklage war. Die Einreichung einer Einkommensteuererklärung im August 2016 stellte eine eigenständige, nicht angeklagte Tat dar – das Verfahren wurde insoweit eingestellt.
  2. Unklare Gewinnermittlungsart:
    Das Landgericht legte nicht eindeutig fest, ob der Gewinn bilanziell (§ 4 Abs. 1 EStG) oder durch Einnahmenüberschussrechnung (§ 4 Abs. 3 EStG) ermittelt wurde. Diese Unklarheit hat direkte Auswirkungen auf die Berechnung der verkürzten Steuern – und damit auf die Strafzumessung.
  3. Fehlerhafte Berechnung des Schuldumfangs:
    Die Grundlage für die Höhe der Steuerverkürzung war nicht nachvollziehbar. Unter anderem wurde die bereits gezahlte Umsatzsteuer aus Voranmeldungen nicht korrekt berücksichtigt.
  4. Rechtsfehler bei der Einziehung (§ 73 StGB):
    Die Einziehung des Wertes der Taterträge beruhte auf dem fehlerhaften Strafausspruch und musste deshalb ebenfalls aufgehoben werden. In den Versuchsfällen war eine Einziehung ohnehin unzulässig.
  5. Ausstrahlungswirkung auf die Mitangeklagte (§ 357 StPO):
    Da wesentliche Feststellungen auch sie betrafen, wurde die Entscheidung konsequenterweise auf die Mitangeklagte Z. erstreckt – inklusive der Aufhebung ihrer Strafen und der Einziehungsentscheidung.

 

Ohne klare Anklage keine Verurteilung

Der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 12. Dezember 2024 (Az. 1 StR 416/23) betont die zentrale Bedeutung eines präzisen und rechtsstaatlich einwandfreien Strafverfahrens – insbesondere bei wirtschaftsstrafrechtlichen Sachverhalten wie der Steuerhinterziehung.

Kernpunkt der Entscheidung ist die strikte Anwendung des prozessualen Tatbegriffs (§ 264 StPO). Der BGH stellte klar: Ein Sachverhalt, der nicht von der Anklage umfasst ist – wie hier die verspätete Abgabe einer Steuererklärung nach bereits erfolgtem Schätzungsbescheid –, darf nicht abgeurteilt werden. Ohne Anklage keine Verurteilung.

Zugleich rügt der BGH die unklare Feststellung zur Gewinnermittlungsart. Ob Einnahmenüberschussrechnung oder Bilanzierung vorliegt, ist nicht nur steuerlich, sondern auch strafrechtlich bedeutsam, da sich daraus unterschiedliche Auswirkungen auf den Schuldumfang ergeben. Bei fehlender Klarheit ist eine strafrechtlich wirksame Strafzumessung nicht möglich.

Die Entscheidung hat zudem unmittelbare Folgen für Mitangeklagte: Wurde die Tat gemeinsam begangen, erstreckt sich eine erfolgreiche Revision auch auf sie (§ 357 StPO). Für die Praxis bedeutet das: Nur auf einer klaren, sauber abgegrenzten Tatsachengrundlage kann ein Urteil Bestand haben.

 

Tipp:
  • Anklageschrift genau prüfen: Wird eine Handlung nicht ausdrücklich angeklagt, darf sie auch nicht verurteilt werden. Strafverteidiger sollten jede Anklageschrift sorgfältig auf Umfang und Abgrenzung der prozessualen Tat hin überprüfen.
  • Gewinnermittlungsart dokumentieren: Ob Bilanzierung oder Einnahmenüberschussrechnung angewendet wurde, hat erhebliche Auswirkungen auf die strafrechtliche Bewertung. Die tatsächliche Handhabung sollte von Anfang an sauber dokumentiert werden – auch bei kleinen Betrieben.
  • Bei Revisionsverfahren auch an Mitangeklagte denken: Ergeht eine erfolgreiche Revision, kann sich die Aufhebung auf Mitangeklagte erstrecken. Anwälte sollten prüfen, ob diese Möglichkeit nach § 357 StPO greift – auch ohne eigene Revision.

Quellen


Bundesgerichtshof: Beschluss vom 12.12.2024 – 1 StR 112/24

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