BGH-Entscheidung: Streit um Auskunftsverpflichtung und Beschwerdewert beim PflichtteilsanspruWas der Cum-Ex-Skandal über Schlupflöcher, kriminelle Netzwerke und die Grenzen der Steuergesetze verrät
Ein komplexes System, Milliarden an Steuergeldern und ein Netzwerk aus Banken, Anwälten und Investoren – die Cum-Ex-Geschäfte gehören zu den größten Steuerskandalen der deutschen Geschichte. Jahrelang wurde der Fiskus durch diese Geschäfte erheblich geschädigt, bis Gerichte und Ermittler das System durchdrangen. Nun hat der Bundesgerichtshof ein Urteil gefällt, das nicht nur als juristischer Meilenstein gilt, sondern auch eine klare Botschaft sendet: Steuerhinterziehung soll generell nicht mehr toleriert werden. Doch wie konnte dieses System so lange unentdeckt bleiben? Und welche Lehren ziehen Staat und Gesellschaft daraus? Es ist die Geschichte eines Finanzskandals, der das Vertrauen in wirtschaftliche und rechtliche Strukturen herausforderte – und uns zur Frage zwingt, wie solche Praktiken in Zukunft verhindert werden können.
Cum-ex?
Cum-Ex-Geschäfte waren eine komplexe Form von Steuerhinterziehung, die auf der mehrmaligen Erstattung von Kapitalertragsteuer basierte. Dabei wurden Aktien rund um den Dividendenstichtag so gehandelt, dass der Eindruck entstand, es hätten mehrere Parteien Anspruch auf eine Rückerstattung der Steuer, obwohl diese nur einmal abgeführt worden war. Das Vorgehen wurde durch ein enges Zusammenspiel von Banken, Investoren, Fondsmanagern und spezialisierten Beratern ermöglicht.
Die Begriffe "Cum-Dividende" und "Ex-Dividende" spielen dabei eine zentrale Rolle. Eine Aktie wird als "Cum-Dividende" bezeichnet, wenn sie vor dem Dividendenstichtag gehandelt wird und der Käufer Anspruch auf die nächste Dividendenzahlung erhält. "Ex-Dividende" bedeutet hingegen, dass die Aktie nach dem Dividendenstichtag gehandelt wird und der Käufer keinen Anspruch mehr auf die Dividende hat. In Cum-Ex-Geschäften wurde dieser Unterschied gezielt ausgenutzt, um mehrfach Steuerrückerstattungen zu erschleichen.
Konkret erfolgte der Handel von Aktien mit Dividendenanspruch (cum) und ohne Dividendenanspruch (ex) in einem engen Zeitfenster. Aktien wurden um den Dividendenstichtag zwischen mehreren Beteiligten hin und her gehandelt. Dabei wurde eine Aktie, die kurz vor dem Stichtag "Cum-Dividende" war, verkauft oder verliehen, sodass sie nach dem Stichtag als "Ex-Dividende" bei einem anderen Marktteilnehmer landete. Trotz des nur einmal erfolgten Abzugs der Kapitalertragsteuer durch die ausschüttende Gesellschaft, ließen sich sowohl der ursprüngliche Eigentümer (Cum-Dividende) als auch der neue Eigentümer (Ex-Dividende) bescheinigen, dass Kapitalertragsteuer abgeführt worden sei. Dies war durch das unübersichtliche Zusammenspiel von Leerverkäufen, Wertpapierleihe und unklarer Eigentumsnachweise möglich. Beide Seiten reichten die Bescheinigungen bei der Steuerbehörde ein und beantragten die Rückerstattung der Kapitalertragsteuer. So wurde die Steuer, die der Fiskus nur einmal vereinnahmt hatte, mehrfach zurückgefordert. Diese Transaktionen führten dazu, dass für die Behörden ein verwirrendes Geflecht aus Besitzverhältnissen entstand und Steuerbescheinigungen mehrfach ausgestellt wurden.
Die rechtliche Qualifikation der Cum-Ex-Geschäfte als Steuerhinterziehung
Die Einstufung der Cum-Ex-Geschäfte als Steuerhinterziehung basiert auf einer umfassenden rechtlichen Prüfung, bei der die zentralen Merkmale des Straftatbestands gemäß § 370 AO erfüllt wurden. Dabei stellte das Gericht klar, dass diese Geschäfte nicht bloß eine kreative Ausnutzung von Gesetzeslücken darstellten, sondern gezielte, betrügerische Handlungen mit dem Ziel, den Fiskus erheblich zu schädigen. Die juristische Argumentation baut auf mehreren wesentlichen Punkten auf, die den Täuschungscharakter und die vorsätzliche Schädigungsabsicht der Täter verdeutlichen.
1. Täuschung über steuerlich erhebliche Tatsachen:
Durch die gezielte Gestaltung von Aktiengeschäften rund um den Dividendenstichtag (cum- und ex-Dividende) wurde gegenüber den Finanzbehörden ein falsches Bild der tatsächlichen Eigentumsverhältnisse und Steuerabführung vermittelt. Es wurde fälschlicherweise angegeben, dass mehrere Parteien Anspruch auf Erstattung hätten, obwohl die Steuer nur einmal gezahlt wurde.
2. Erlangen ungerechtfertigter Steuervorteile:
Die Täter bewirkten durch ihre Handlungen, dass der Fiskus Kapitalertragsteuer mehrfach erstattete, obwohl sie nur einmal abgeführt wurde. Diese unrechtmäßige Erstattung stellt einen erlangten Steuervorteil dar.
3. Täter handelt vorsätzlich:
Die Beteiligten handelten mit dem klaren Vorsatz, durch manipulierte Geschäfte und Täuschungshandlungen ungerechtfertigte Steuererstattungen zu erlangen. Sie waren sich bewusst, dass die Kapitalertragsteuer nur einmal abgeführt wurde, dennoch beantragten sie mehrfach deren Rückerstattung.
4. Schädigung des Fiskus:
Der durch die Geschäfte verursachte Schaden ging in die Milliardenhöhe und erfüllt damit den Begriff des besonders schweren Falls, der nach § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO strafverschärfend wirkt.
Lehren für Staat und Gesellschaft
Das Urteil zum Cum-Ex-Skandal hat weit über den konkreten Fall hinaus Bedeutung erlangt. Es geht nicht nur um die Ahndung eines der größten Steuerbetrugsfälle der deutschen Geschichte, sondern auch um die grundlegende Frage, wie Staat und Gesellschaft gegen komplexe, kriminelle Finanzpraktiken gewappnet sein können. Die richterlichen Feststellungen liefern wichtige Impulse für rechtliche, institutionelle und gesellschaftliche Veränderungen, die weitreichende Konsequenzen für die Zukunft der Steuergerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit haben:
- Schließung von Gesetzeslücken und Stärkung der Kontrolle
Das Urteil zeigt die dringende Notwendigkeit, steuerrechtliche Schlupflöcher zu schließen und Prüfmechanismen der Finanzverwaltung zu modernisieren, um komplexe Steuerbetrugssysteme frühzeitig zu erkennen und zu verhindern.
- Signalwirkung für Rechtsstaatlichkeit und Gerechtigkeit
Es wird klargestellt, dass selbst hochkomplexe und international ausgerichtete Steuerbetrugsmodelle nicht über dem Gesetz stehen, was das Vertrauen in den Rechtsstaat stärkt und eine abschreckende Wirkung auf potenzielle Täter hat.
- Förderung internationaler Zusammenarbeit Der Cum-Ex-Skandal unterstreicht die Bedeutung eines globalen Informationsaustauschs und einer koordinierten Zusammenarbeit zwischen Steuerbehörden, um grenzüberschreitende Steuerbetrugssysteme effektiv zu bekämpfen.
Quellen
BGH, Urteil vom 28.07.2021 - 1 StR 519/20
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